Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
Fünf-Millimeter-Schnitt. Gegen ein bisschen mehr Einfallsreichtum hätte ich nichts einzuwenden.«
Offenbar in Schnippschnapp-Laune geraten, schnappt Henry sich ein Stadtmagazin und schlägt den Anzeigenteil auf: »Also, an Einfällen fehlt es unseren Friseuren nicht. Hier, wie wär’s mit dem: ›Querschnitt‹ – klingt doch witzig!« – »Bist du sicher, dass das ein Friseur ist und kein Radiologe?« – »Hier hab ich einen für dich: ›Lockenbaron‹. Klingt doch nobel! Und der hier ist auch nicht schlecht: ›Glückssträhnchen‹. Wolltest du nicht immer schon mal blonde Strähnchen haben?« – »Aus dem Alter bin ich raus. Was ist mit dem da?« – »›Kopfgärtner‹? Das klingt zu harmlos! Bei deiner Matte brauchst du eher so einen wie den hier: ›Schopfgeldjäger‹.« Ich sauge geräuschvoll an meinem Eiskaffee, während Henry umblättert und erstaunt brummt: »Kaum zu fassen. Haben die etwa alle so originelle Namen?«
Die Namenserfindungen der Friseure sind tatsächlich eine Kunstform für sich. Wortspiele mit dem Wort »Haar« sind besonders beliebt: »Haut und Haar«, »Haar Genau«, »Haar Scharf«, »Haarlekin«, »Haarem« und »Vier Haareszeiten«. In fast jeder größeren Stadt findet man heute einen Laden mit dem Namen »Haarmonie«, und in Aachen auch einen namens »Haarmoni«, denn die Inhaberin heißt mit Vornamen Monika. In Köln gibt es nicht nur eine Philharmonie, sondern auch eine »Philhaarmonie«. Ja, Friseure sind kreativ, in Berlin ist einer sogar »CreHaartiv«. Im Grunde sind sie ja Künstler, und einige sind sogar Zauberkünstler, so wie die Inhaber des Ladens »Haarbracadabra«. Nicht jeder kann Rinderbaron in Südamerika werden, mancher bringt es bloß zum Friseur in Eschwege. Auf seine eigene »Haarcienda« braucht er trotzdem nicht zu verzichten.
Als ich kürzlich zum Hamburger Flughafen fuhr, zwang ich den Taxifahrer zu einer Vollbremsung, weil ich ein Friseurschild entdeckt hatte, das ich unbedingt fotografieren musste: »O Haara«. Geht’s noch witziger? Ja, es geht! In Berlin gibt es einen Friseursalon namens »Mata Haari«. In Köln gab es auch mal einen Laden namens »Haarakiri« – aber der hat inzwischen wieder zugemacht. Vermutlich fanden die Kunden die Methoden doch zu radikal. Zu meinen Favoriten zählt der Berliner Salon »Haarspree«. In Wien gibt’s einen Laden namens »Haarchitektur« und einen namens »GmbHaar«. Da lacht doch Kater Karlo: »Haar, haar, haar!«
Bei allem Einfallsreichtum gilt natürlich: Auch Friseure waschen nur mit Wasser – wie ein Laden in Paderborn beweist. Der nennt sich nämlich »Haar 2 O«. Gelegentlich darf auch das Arbeitsgerät des Friseurs als Namenspatron herhalten: Vom »Scherenschnitt« über den »Kammpus« bis hin zum »Fönix« ist alles vertreten. Wo herrscht im Stadion die beste Stimmung? Natürlich – in der »Fönkurve«! Und wie nennt sich der Salon von Meister Sörensen in Nordfriesland? Logisch: Frisörensen! Und was so ein kleiner Buchstaben- dreher ausmachen kann, zeigt sich auf grandiose Weise bei »Zopf oder Kahl«.
Je dichter die Konkurrenz, desto wichtiger ist es für den Friseur, im Trend zu liegen. Und heutzutage lechzt bekanntermaßen alles nach Internationalität. Das merkt man schon daran, dass sich viele Friseure selbst lieber als Hairstylisten bezeichnen. Entsprechend findet man auch immer mehr englisch klingende Namen. »Cut ’n’ Curl« zum Beispiel oder »Delicut«. Lieben Sie Musicals? Dann kennen Sie bestimmt »My Hair Lady«! Wo lassen sich Filmemacher die Haare schneiden? Beim »Director’s Cut«! Wer sich in Los Angeles auskennt, der weiß, wo sich »Bel Hair« befindet und wieman zum »Hairport« kommt. Und wie nennt sich wohl der Friseur in der Nähe eines Luftwaffenstützpunktes? Natürlich: »Hairforce«!
Auf dem Gebiet der deutsch-englischen Mischformen eröffnen sich dem wortgewitzten Figaro schier unbegrenzte Möglichkeiten: »Hin und Hair«, »Vorhair/Nachhair«, »Hairliche Zeiten« oder »Hair Gott« sind spektakuläre Zeugnis- se denglischen Humors. Ebenso »United Haartists« oder »Kamm in«.
Henry kräuselt die Stirn: »Kamm in?« – »Genau!«, entgegne ich, »das ist Frisörisch und bedeutet dasselbe wie ›Haireinspaziert!‹« – »Oh Mann, ich krieg gleich einen Föhn!«, stöhnt Henry, »da sind mir die deutschen Wortspiele noch lieber. ›Neuer AbSchnitt‹ finde ich gut. Und ›Über kurz oder lang‹. Oder ›Kurz und Schmerzlos‹.
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