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Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Schädels mit weichen Papiertüchern auswischen würde, um die dann wiederum ganz zum Schluß, wenn alles fertig war, gemeinsam mit seinem alten Butterbrotpapier in den leeren Schädel zu stopfen.
    So, wie es jetzt aussah, war Thelma Bernbaum alias Missy Moonbeam eines jener bedauernswerten Geschöpfe gewesen, bei denen die »Begräbnisfeierlichkeiten« sicherlich nur aus wenigen gemurmelten Worten bestehen würden, die einem ausgesprochen mies gelaunten Bestattungsunternehmer abverlangt wurden, einem Mann, der sich sowieso von der Stadtverwaltung begaunert fühlte, weil ihm zugemutet wurde, die Leiche für den schäbigen Betrag, der im allgemeinen für das Wegschaffen einer kleinen Nutte zur Verfügung stand, auch noch in einem Behältnis unter die Erde zu bringen, das entfernt an einen Sarg erinnerte.
    In einer Zeit der Rezession und der Arbeitslosigkeit würden sich die nächsten Verwandten von Thelma Bernbaum in Omaha sicherlich dagegen sträuben, für die Beerdigungskosten geradezustehen, und sie würden vermutlich auch kaum bereit sein, einen Haufen hart verdienter Dollars auszugeben, bloß damit das, was noch von Thelma übriggeblieben war, an jenen Ort zurückgebracht wurde, von dem sie ohnehin stets gesagt hatte, er sei ungefähr so anregend und stimulierend wie der Archipel Gulag. (Thelma hatte damals immerhin das eine oder andere Buch gelesen. Was hätte sie denn in Omaha sonst auch machen können?)
    Aber vom Tag ihrer Ankunft in Hollywood an hatte sie jegliches Lesen außer der Lektüre von Daily Variety und The Hollywood Reporter aufgegeben. Sie hatte das Lesen ganz und gar aufgegeben, als ihre Dollars futsch waren und damit auch ihre Hoffnungen und Träume. Und wenn in Hollywood die Hoffnungen und die Träume erst mal weg sind, kann man sich den Arsch bloß noch mit Schmirgelpapier abwischen, wie's heißt. Und das tut sofort und nicht etwa erst, wenn man endgültig im Keller ist, verdammt weh.
    Angefangen hatte sie dann als Callgirl für fünfhundert Dollar die Nacht. Selbst auf dem Polizeifoto war noch zu erkennen, daß sie mal ein hübsches Mädchen gewesen sein mußte. Dann das Unvermeidliche: Hasch, Schnüffelkram, Wachmacher, Schlafmacher, Muntermacher, Koks. Wegen Heroin war sie zwar nie geschnappt worden, aber todsicher hatte sie auch das mal versucht. Nach einer Festnahme war sie, voll mit Koks bis zur Halskrause, in einem Zustand ins Krankenhaus gekommen, in dem sie achtzehn Stunden hintereinander quasi aufrecht im Bett stand, ohne Ruhe finden oder schlafen zu können.
    Auf dem letzten Polizeifoto sah Missy Moonbeam aus, als wäre sie allmählich doch ein Fall für den Exorzisten gewesen. Mario Villalobos gab einen seiner typischen, seltsam traurigen Seufzer von sich, steckte sich eine neue Zigarette an und schaute auf die Uhr. Es handelte sich da ganz offensichtlich um einen Marathonbrunch. Er sagte sich, er hätte sich vom Lieutenant im Endeffekt doch nicht bequatschen lassen sollen, Chip Muirfield für die Zeit, in der der Junge seinen »Pfeffer« kriegen sollte, unter die Fittiche zu nehmen, ausgerechnet auch noch mit Hilfe von Melody Waters. Der reguläre Partner von Mario Villalobos, Maxie Steiner, erholte sich gerade von einem Herzanfall, den er seinen Besuchen in Leerys Saloon verdankte, und außerdem einer Hungerkur, seinem allgemeinen Mangel an Bewegung, zwei Schachteln Zigaretten am Tag, nächtlichen Begegnungen mit Mördern, einer kaputten Ehe und einer Scheidung. Haargenau dasselbe also, was Mario Villalobos auch schon hinter sich hatte, allenfalls mit dem Unterschied, daß Maxie Steiner zehn Jahre älter war als Mario Villalobos und daß Mario zwei kaputte Ehen und Scheidungen hinter sich hatte.
    Diese unerfreulichen Gedanken veranlaßten Mario Villalobos, doch mal in den Raum reinzugucken, direkt auf einen Lungenflügel, den ein Obduktionsgehilfe auf einen Stahltisch plaziert hatte und der aussah wie ein Stück Kohle. Der arme Teufel, den sie hier gerade auseinandernahmen, hatte wahrscheinlich genausoviel gequalmt wie Maxie Steiner, der seinerseits immer meinte, er rauche fast soviel wie Mario Villalobos. Die Vorstellung, daß die Uhr eines Tages ausgerechnet mal durch irgendwas so Unbarmherziges wie Lungenkrebs zum Stillstand gebracht werden könnte, jagte Mario Villalobos einen Scheißschrecken ein. Sicher war's dann schon besser, seinem 38er in die Mündung zu gucken und kurz abzudrücken. Als er nochmals auf diese Lunge starrte, die wirklich wie ein Stück Anthrazit

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