Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
Vom Netzwerk:
es war, jede Nacht ins Haus des Jammers zu gehen, war Chip Muirfields auffälliges Interesse an dieser Mann-im-Mond-Tätowierung hoch oben an Missy Moonbeams Oberschenkel, dicht an ihrem sogenannten Brunnen der Freude, der jetzt versiegt war. Und der gelangweilte Pathologe seinerseits kam allenfalls auf den Gedanken, daß der Brunnen der Freude selbst das Objekt war, für das sich der offenbar reichlich morbide junge Cop so ungemein interessierte.
    Es war immerhin eine sehr professionelle Tätowierung. Der Mann im Mond blinzelte mit einem Auge Chip Muirfield zu, und sein anderes Auge warf er keck auf Missy Moonbeams blondes Dreieck. Es war eigentlich eine sehr hübsche Idee, sich an dieser Stelle tätowieren zu lassen, dachte Chip Muirfield, wenngleich das Bein beim Aufprall nach dem Sturz fast abgerissen war und nur noch lose am Körper hing.
    »Ich möcht wissen, ob der Fotograf daran gedacht hat, von dieser Tätowierung 'n Foto zu schießen?« sagte er wie in Gedanken zu dem Pathologen, der nur die Achseln zuckte und sagte: »Wozu?«
    »Um sie zu identifizieren«, sagte Chip Muirfield, eigentlich wenig überzeugend.
    »Ich dachte, ihr wißt längst, wer sie war«, sagte der Pathologe.
    »Wir sind uns nicht sicher«, log Chip Muirfield. »Jammerschade, daß die Stelle rund um die Tätowierung so kaputt ist. Alles ist so zerfetzt und blutig, daß man kaum was erkennen kann. Schneiden Sie's doch mal raus, und dann kann ich den Fotografen kommen lassen, damit er ne brauchbare Nahaufnahme schießt.«
    Der Pathologe zuckte abermals die Achseln, schnippelte den Fleischlappen mit der Tätowierung heraus und legte ihn auf den Stahltisch. Chip Muirfield konnte vor Freude kaum noch an sich halten. Er sah, daß sich Mario Villalobos inzwischen in den Vorraum der Autopsie begeben hatte. Also bestand die einmalige Chance, allen makabren Scherzen, mit denen sich erwachsene Detectives gegenseitig immer zu übertrumpfen versuchen, endlich die Krone aufzusetzen, sofern Chip Muirfield in bezug auf das tätowierte Fleischstückchen, das er nun zur angeblichen Beweissicherung in ein Tütchen tat, noch irgendwas wirklich Komisches einfiel.
    Während Melody Waters im Autopsieraum herumstrich und die Vorstellung, die an den anderen Obduktionstischen geboten wurde, mit großem Vergnügen genoß, kam Mario Villalobos zurück und registrierte diesmal, daß Chip Muirfield inzwischen mit einem derart unheimlichen Interesse bei der Sache war, daß es fast schon so aussah, als würde er am liebsten in Missy Moonbeam hineinkriechen.
    »An deiner Stelle würd ich vielleicht etwas weiter weggehen, Chip«, sagte Mario Villalobos. Er zündete sich eine Zigarette an und schwor sich gleichzeitig wieder mal, mit dem Rauchen aufzuhören, bevor die Gefahr akut wurde, daß er diesen medizinischen Messerhelden hier doch noch allzu frühzeitig in die Finger geriet.
    Chip Muirfield war von dem toten, blutigen Etwas, das da vor ihm lag und angeblich ein Mädchen aus Omaha gewesen war, so hingerissen, daß er die Mahnung des älteren Detectives gar nicht beachtete.
    Mario Villalobos schaute auf den piekfeinen Anzug mit Weste, den Chip Muirfield trug, zögerte einen Augenblick und sagte dann: »So verrückt wie du war nicht mal Boris Karloff als Frankenstein, Chip. An deiner Stelle würd ich wirklich 'n bißchen weiter weggehen.«
    Aber Chip Muirfield schien ihm überhaupt nicht zuzuhören, und so ging Mario Villalobos weg, um sich einen Kaffee zu holen. Der Pathologe zog sich die Handschuhe aus und sagte, er hätt's jetzt geschafft. Der Obduktionsgehilfe schaute auf die Uhr und … Jesus Christus! In drei Minuten fing die Sendung Days of Our Lives an!
    So passierte es dann. Er griff nach dem Wasserhahn über der Schüssel für die Eingeweide, um dieses Baby hier zum Abschluß der Obduktion sauberzumachen. Auf einen jugendlichen Surfercop, der einen piekfeinen Anzug trug, achtete er dabei überhaupt nicht mehr. Er hatte nur noch die Uhr im Auge, wie ein Verurteilter in der Todeszelle, und er drehte den Wasserhahn voll auf. Das Wasser schoß mit voller Wucht in die Eingeweideschüssel. Und Chip Muirfield kriegte mit Missy Moonbeam am Ende geradezu hautnah Kontakt.
    Ein wahrer Springbrunnen von Blut hatte seinen piekfeinen Anzug mit Weste dekorativ gemustert. Ein Teil von Missy Moonbeam klebte ihm an der Krawatte. Ein anderes kleines Scheibchen von ihr hatte ihn am Jackettrevers getroffen. Eine ausgewählte Musterkollektion von Missy Moonbeams purpurfarbenen

Weitere Kostenlose Bücher