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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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deutschen Binnensee in acht Meter Tiefe auf ein Ziel zu, ein in ostsüdöstlicher Richtung 460 Meter entferntes Übungsziel; die Instrumente würden ihn mit nur wenigen Metern Abweichung hinführen. Plötzlich kam ihm der absurde Gedanke, sein Lebenszyklus sei dabei, sich zu schließen. Als er zu einer Zeit, die jetzt eine Ewigkeit her zu sein schien, in der Königlich Schwedischen Marine zum Angriffstaucher ausgebildet worden war, hatte er diese Ausbildung bewußt in der Absicht gewählt, einer der geschulten Genossen zu sein, welche die schwedischen Eliteverbände »unterwandern« sollten, um den Verteidigungswillen Schwedens aufrechtzuerhalten, falls eines Tages die Russen kämen und die Sozis sich vielleicht gewillt zeigten zu kapitulieren.
    Er war gerade frischgebackener Marinetaucher gewesen, als der Alte ihn auffischte und ihm das eigenartige Angebot machte, zu dem er nicht hatte nein sagen können und das später zu den fünf Jahren in den USA führte. Allerdings hatte dieses Angebot ihn nicht in den Nachrichtendienst des Alten gebracht, sondern in das Irrenhaus auf Kungsholmen zu der »verzweifelt unfähigen Führungsspitze der zivilen Sicherheitspolizei Schwedens«, wie der Alte sie zu nennen pflegte.
    Jetzt, einige Jahre später, ließ sich nicht gerade behaupten, daß das Ergebnis das erwartete Kräftemessen mit dem sozialimperialistischen russischen Feind war; statt dessen schwamm er hier inmitten von Seerosen und Schlamm in einem deutschen Binnensee auf ein Übungsziel zu, das möglicherweise mit westdeutschen Extremisten zu tun haben würde, und das einzig sichere in all dem Wahnsinn war die Tatsache, daß er unter Wasser den harten Kern der Rote Armee Fraktion nie würde angreifen dürfen.
    Es war eine harte Woche in Siegfried Maacks Terroristenschule gewesen. Carl hatte sich durch ewige Wiederholungen mehr als hundert Namen und Personenbeschreibungen eingeprägt; diese Leute gehörten entweder zum »Kommandobereich militärische Ebene« der RAF, also zur Elite des Feindes, die etwa 25 Personen umfaßte, oder wurden »den gewalttätigen Anhängern oder der militanten Ebene« zugerechnet. Jeden Tag hatte Siegfried Maack mehrere Stunden damit zugebracht, mit ihm theoretische Szenarien durchzuspielen, bei denen er in Diskussionen mit hypothetischen Terroristen oder Terroristensympathisanten lernen sollte, was für Menschen sie waren. So sollte er etwa die ungefährlichen Anhänger der Roten Zellen (deren Sprengsätze und Sabotageakte sich nie gegen Menschenleben richteten, sondern eher den Versicherungsgesellschaften Kummer machten) und die wirklichen Terroristen auseinanderhalten können.
    Es wäre schließlich höchst fatal, wenn er sich von der falschen Gruppe würde anwerben lassen.
    Bei diesen theoretischen Diskussionsspielen hatte Carls neue politische Einstellung einen zunehmenden Feinschliff erhalten.
    Er wurde immer wieder gezwungen, seine Positionen zu verteidigen, die denen der RAF möglichst gleichen sollten. Bei seinen Attacken spielte Siegfried Maack manchmal den konventionellen Kommunisten, mal den Atomkraftgegner oder einen Anhänger der alten und inzwischen aufgelösten Bewegung 2 . Juni.
    Die Hauptparole, die den Kern von Carls neuer politischer Einstellung bildete, war die am häufigsten wiederholte der RAF:
    »Die westeuropäische Guerilla erschüttert das imperialistische Zentrum.«
    Siegfried Maack unternahm seine höhnischen Angriffe von sozialdemokratischen, linksradikalen oder konventionell kommunistischen Standpunkten aus. Carl verteidigte sich mit jedem Tag aggressiver und geschickter.
    Natürlich sei es richtig, die progressiven Kräfte in der Welt in ihrem Kampf gegen den Imperialismus zu unterstützen. Das sei doch die Grundlage aller Solidaritätsarbeit, oder? Die kleinbürgerliche, opportunistische Linke Europas war nach dem Sieg in Vietnam saft und kraftlos geworden, die repressive Toleranz hatte alle progressiven Tendenzen aufgesogen, und damit war der Imperialismus in Europa nicht mehr wirksam bedroht. Das sozialdemokratische Establishment fungierte überall in Europa als intellektuelle Speerspitze der NATO.
    Politiker wie Willy Brandt, Francois Mitterrand und früher auch Olof Palme lullten die Arbeiterklasse mit einer Politik ein, die auf der Illusion gründete, man könne innerhalb der NATO ein System sozialer Gerechtigkeit aufrechterhalten. Und dort saßen jetzt alle Karrieristen und Opportunisten der alten Linken.
    War aber nicht jeder einzelne für seine

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