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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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erfahrenen Menschen gar nicht in den Sinn
gekommen wäre: es tue ihm leid wegen ihres Mannes, denn er sei sein Freund, und
vielleicht würde es auch sie verletzen, denn sie sei eine ehrsame Frau, aber er
müsse ihr das bekennen, und er wisse nicht, was aus ihm werde, wenn sie
fortginge. So war auch die Frau gezwungen, sich hinter ihrem Mann und ihrer
Ehrsamkeit zu verstecken und ihn auf den gefahrlosen Platz eines Freundes der
Familie zu verweisen. Ganz seltsamerweise schien Hasans Naivität ihre Strenge
besiegt zu haben; man kann annehmen, daß sie ihn von da an liebte. Aber der
katholische Treuebegriff dieser Klosterschülerin und ihre wahre Angst vor der
Sünde verdrängten bei ihr die Liebe in die geheimsten Bezirke des Herzens, und
das verpflichtete auch ihn, sie nicht zum Bekenntnis zu zwingen; er war schon
überglücklich, von ihrer Liebe zu wissen. Da er ihr alles von sich erzählt, ihr
auch das enthüllt hatte, was er vor allen andern verbarg, schlug sie ihm vor,
daß er gemeinsam mit ihnen nach Bosnien reise, anfangs zu Schiff, über
Dubrovnik, da ihn doch ohnehin nichts in Stambul halte. Sie wollte sich selbst
und ihm beweisen, daß sie weder sich selbst noch ihn fürchte. Es sei ein wenig
„la route des écoliers", meinte sie und erklärte,
weil er das Französische nicht verstand, es sei der längere, aber sicherere
Weg, auf dem die Kinder von der Schule nach Hause gingen. Sie schützte sich
auch mit dem Französischen, denn sie fühlte, daß ihn die Kenntnis dieser
seltsamen französischen Sprache, die gleichsam für die Frauen geschaffen war,
begeisterte. Sie vergaß, daß sie ihn auch mit der Zigeunersprache hätte
begeistern können. Und sie schien auch ganz zu vergessen, daß sie sich schlecht
mit dem verteidigte, was ihn begeisterte. Auf dem Schiff sahen sie einander
seltener, als HaSan gehofft hatte. Dem Kaufmann machte das aufgewühlte Meer arg
zu schaffen, fast während der ganzen Reise lag er im Bett, sich quälend und
sich erbrechend. Hasan sah es mit an, er lernte den üblen, widerlichen Geruch
kennen, dessentwegen die Kabine stundenlang gelüftet werden mußte – nur mit dem
Ergebnis, daß schon im nächsten Augenblick alles Gereinigte und Erfrischte von
neuem besudelt und verpestet war, während der bejammernswerte Mann gelb und
blau dalag wie auf dem Totenbett. – Vielleicht wird er auch sterben, dachte
Hasan mit Bangen und mit Hoffnung, und später warf er sich selbst diese Roheit
vor. Marija verbrachte, einen widernatürlichen Sinn für Opfer und Dulden
bekundend, die meiste Zeit mit ihrem Manne, sie säuberte und lüftete die
Kabine, tröstete ihn, hielt seine Hand, stützte ihm den Kopf, wenn er sich beim
Erbrechen verkrampfte, was seine Qualen nicht minderte, und gewiß stärkte
dieses häßliche Bild auch nicht die Liebe der Frau zu ihrem Ehemann. Wenn er
eingeschlafen war, ging sie aufs Deck hinaus, wo Hasan ungeduldig darauf
wartete, ihre schlanke, geschmeidige Gestalt zu sehen, und dann zählte er
ängstlich die Minuten, die ihnen noch blieben, bis ihre Pflicht sie in die
verpestete Kabine zurückriefe, damit sie dort – gerührt vom eigenen Opfer – an
den reinen Seewind denke und an die zärtliche Stimme, die von Liebe zu ihr
gesprochen hatte. Sie sprachen nicht von ihrer eigenen Liebe, sondern von
fremder, doch es war dasselbe. Sie sprach europäische Bann sie auch zu schätzen, auf seine
Weise, ein wenig spöttisch, doch ohne Bosheit–er achtete mehr das Leben und was
es wirklich zum Inhalt hat als das, was er sich vom Leben wünschte. „Klug sind
doch die Menschen hier", sagte er mir einmal in jener wunderlichen
Mischung von Spott und Ernst, die mich oft verwirrte. „Sie übernehmen das
Nichtstun vom Orient und das angenehme Leben vom Westen; nirgendwohin haben sie
es eilig, weil das Leben selbst es eilig hat; es drängt sie nicht, zu erfahren,
was nach dem morgigen Tag kommen wird – es kommt, was ihnen bestimmt ist, und
das hängt kaum von ihnen ab –; zusammengehörig fühlen sie sich nur in der Not,
und darum haben sie es nicht gern, oft zusammen zu sein; einem Fremden glauben
sie nicht so leicht, und am ehesten lassen sie sich mit einem schönen Wort
betrügen; sie sehen nicht aus wie Helden, doch am schwersten ist es, sie mit Drohung
einzuschüchtern; lange Zeit kann sie nichts aus der Ruhe bringen, es ist ihnen
ganz gleich, was um sie herum geschieht, und dann, mit einem Male, meinen sie,
dass alles sie angehe, alles kehren sie dann um, stellen es auf den

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