Der Diamant des Salomon
uns Juden befohlen, die Stadt zu verlassen.«
»Aber das gilt doch nicht für dich. Du kannst selbstverständlich hierbleiben und deine Arbeit tun.«
»Das könnte ich nicht.«
»Aber du mußt bleiben. Ich befehle es dir.«
»Dazubleiben, während alle anderen fort müssen, wäre für meine Familie wie ein leben d iger Tod.« Vitallo erwiderte den Blick des D o gen. »Da s chrecken u n s andere Formen des Todes auch nicht mehr.«
Der Doge drehte sich um und ging zum Fenster, wo er stehenblieb und hinaus aufs Meer blickte.
Zeit verging. Isaak wartete. Er wußte, daß er noch nicht entlassen war. An der seidenen Staatskappe des Dogen vorbei konnte er die zahllosen Reflexionen des Sonnenlichts beobachten, die draußen auf dem Wasser funkelten.
Wie viele Karat mochte das Meer wohl haben? Gott allein schliff d i e wi r klich p erfe k ten Fa c etten, ein sterblich e r Handwerker konnte nicht einmal im entferntesten an solchen Glanz herankommen.
Schließlich drehte sich der Doge um.
»Möglicherweise kann ich dei n en Juden helfen. Es gibt eine Fraktion im Senat, die das Schließen der Geldleihgeschäfte bedauern würde. Ich könnte ein wenig Druck auf die andere F raktion ausüben.«
»Euer Gnaden, unsere D ankbarkeit …«
Der Doge hob die Hand. »Versteh mich richtig, Vitallo. Eure Dankbarkeit i n ter e ssie r t m i ch nicht. Was ich von dir will, i s t ein Mei s ter s tüc k , das mir die Dankbarkeit des Vatikan sichert, weil einer meiner Handwerker es geschaffen hat.« Er wedelte verächtlich mit der Hand, und Isaak wußte, daß er entlassen war.
Eilends lief er zurück in den Gietto, ging direkt in die Synagoge und umarmte Rabbi Nahmia.
»Wir haben unser Wunder«, sagte er jubilierend.
Auf seiner Suche nach einem geeigneten Goldschmied wandte sich Isaak nach Neapel. Salamone da Lodi war ein außergewöhnlich talentierter Jude, der sein Handwerk bei Benvenuto Celli n i in d e n let z ten L e bensjahren dieses g roßen Meiste r s erler n t h a tte. C e llini hatte ihn dazu auserwählt, weil er selb s t bei Grad i zio, der ebenfalls Jude war, gelernt hatte, und viele hielten Da Lodi für einen würdigen Nachfolger seines Leh re rs.
Der Neapolitaner war ein grobschlächtiger Mann, ein verluderter Säufer und Hurenbock, aber Isaak zog es nun einmal vor, mit einem Juden zusammenzuarbeiten. Gemeinsam arbeiteten Da Lodi und er einen Entwurf aus, der an den Kopfschmuck des Hohepriesters im T empel von Jerusalem erinnerte. Zuerst machten sie sich S o rgen, weil dafür enorm viel Gold benötigt wurde, aber als es an der Zeit war, wurde ih n en d as Edelmet a ll p robleml o s zur V erfügung gestellt. Um die Kosten zu senken und weil die Tiara für P apst Gregor sonst zu schwer geworden wäre, schmolz Da Lodi das Gold ein und spann es in Fäden, aus denen er, noch bevor sie gänzlich abgekühlt w aren, die Tiara wob. Diese bekam dadurch einen so satten und doch feinen Gla nz , daß Isaak überwälti g t war.
Der Gedanke an Gottes gehei m nisvolles Wirken erfüllte ihn mit ti e fster Eh r f ur c ht – wer sonst hätte aus Isaaks Furcht, dem Ehrgeiz des Dog e n und der Widerwärtigkeit von Salamone da Lodi ein Ding von so vollkommener Schönheit erschaffen können?
Der Doge war von der Tiara entzückt, ließ sie sofort streng bewachen und befahl Isaak, den Diamanten im Dogenpalast einzusetzen.
»Ich arbeite nur in meiner eigenen Werkstatt, Euer Gnaden«, sagte Isaak besti m mt. Dieses Geplänkel hatten sie in der Vergangenheit schon öfter ausgefochten.
»Dann mußt du deine Werksta t t und dein Heim in den Gietto ver l egen.«
»Ich kann nicht im Gietto leben, Herr.«
»Und ich kann nicht für die Sicherheit deines Hauses in Treviso garantieren«, sagte der Doge.
Isaak hielt das zwar für eine Übertreibung, aber er wußte auch, daß Gewalt in der Luft lag. Das Osterfest nahte, und ein inbrünstiger E i fer, den viele Gemeindepriester mit ihren Predigten von den angeblichen Mordgelüsten derer, die auch d en Herrn J esus g e töt e t hatten, fa s t tä g lich schürten, hatte Teile der Bevölkerung erfaßt. Überall konnte man Leute sehen, die um den Hals das Bildnis des unschuldigen Kindes von Trient hängen hatten und so taten, als wäre es nicht vor einem Jahrhundert, sondern er s t gestern er m ordet worden. Wenn Juden es wagten, den Gietto zu verlassen, wu r den sie mit finsteren Blicken bedacht. Es gab Stimmen, die lau t hals forderten, alle Juden zwangsweise zu bekehren, wie es in anderen Stadtsta
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