Der Diamant des Salomon
umgebracht!«
»Ich weiß. Ich auch nicht«, sagte Isaak mit rauher Stimme.
In die s em Jahr wurde das jüdi s c h e Pessach-Fest sechs Wochen vor dem christlichen Oste rf est gefeie r t . Das Anwesen der Vitallos war s auber und aufgeräumt, und bereits am Vortag waren das Festtagsgeschirr und -besteck bereitgele g t und ungesäuerte Brote aus d er B äckerei im Gietto geholt worden, die jetzt unter einem sauberen Leinentuch auf den Sonnenuntergang und den Beginn des Festes warteten. Aus der Küche drangen die Gerüche von Pudding, Geflügel und Pessach-Lamm, das mit Gewürzen und Kräutern gebraten wurde. Den ganzen Tag über waren Juden mit Krügen und Flaschen zum Haus g e kommen, um bei den Vitallos ihren Pessach-Wein zu kaufen.
Es war As c hermittwoc h . Die Männer der Wachmannschaft gingen nacheinander in die K i rche des D orfes, um sich segnen zu lassen. Isaak und Elia saßen am Zeichenbrett, während die ersten F liegen des Jahres m it lautem Gebrumm die Frühlingswärme begrüßten. Isaak machte Skizzen für die geplante Fassung des großen Diamanten.
Es war nicht allzu sch w er, ihn in die Tiara einzusetzen, aber trotzdem ging Isaak methodisch und mit aller nur möglichen S orgfalt vor.
Elia zappelte gelangweilt herum und blickte aus dem Fenster auf die langsam grün werdenden Hügel. »Wenn die Wei n st ö cke nicht b ald beschnitten werden, ist es zu spät.«
»Dann geh!« knurrte Isaak.
Der Junge nahm noch rasch sein Messer zum Beschneiden der Rebstöcke, das scharf wie eine Rasierklinge war, und rannte zum Weinberg.
Eine kurze Weile später s e ufzte Isaak und legte die Zeichenkohle aus der Hand. Der Tag war zu schön, um in der Werkstatt zu bleiben. Draußen schien warm die Sonne, und eine leichte Brise roch nach Meer. Isaak stieg auf einen kleinen Hügel hinter d e m Haupthaus, von dem aus er einen guten Blick auf das Anwesen hatte. Im Hof halfen die jüngeren Kinder ihrer Mutter beim Verkaufen des Weines. Die Wachen lunger t en herum und probierten den Wein, und Isaak mußte lächeln, als er sah, wie seine Frau ihnen mißtrauische Blicke zuwarf. Sie hatte wohl Angst, weil Fioretta, ihre älteste Toc h ter, bereits erste Anzeichen eines Buse n s zeigte.
Weiße Wolken standen hoch am Himmel, und überall, wo Isaak hinsah, erwachte die Natur. Obwohl die Erde noch feucht war, setzte er sich und beobachtete seinen Sohn beim Zurückschneiden der Rebstöcke auf dem weit entf e rnten Weinberg.
Auf einmal sah er, w i e zwei kleine Jungen über den Kamm eines Hügels direkt auf den Weinberg zuliefen. Ein älterer Mann hetzte ihnen in vollem Lauf nach. Warum jagte der alte Mann die beiden Buben? Und warum trug er eine Sense, wo es doch noch Monate dauerte, bis das Heu geschnitten wer d en mußte? Isaak konnte die Jungen genau sehen, erkannte sogar die Aschezeichen auf ihren Stirnen. Sie rannten direkt auf seinen Sohn zu, und es sah so aus, als wollt e n sie mit ih r en klei n en Fäusten a u f ihn einsc h l a gen. Elia hielt s i e sich mit Leichti g keit vom Leib und wartete darauf, daß der alte Mann ebenfalls zu ihm kam.
Auf einmal strömten Männer jeden Alters über den Hügel.
»Nein!« schrie Isaak.
Im Hof unt e n ließ F i or e tta e i ne W einflasc h e f a llen. Die Soldaten griffen nach ihren Waffen. Isaak rannte los.
Er sah, wie der alte Mann bei Elia ankam. Das Sensenblatt blitzte auf, heller als die Sonne auf dem Meer.
Elia machte nicht einmal den Versuch, sich mit seinem Messer zu verteidigen. Als die Sense wieder blitzte, hatte ihr Glit z ern einen rubinroten Fa r bton, die F arbe der schlimmsten Facette von allen.
Am dritten Tag nach dem Pessach-Fest wurde Elia a u f dem Friedhof auf dem Lido b e graben. Der Doge ließ den Trauerzug von seinen Soldaten bewachen und kam ein paar Tage später persönlich hinaus zu Isaaks Anwesen.
»Sag jetzt bloß nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, Vitallo.«
Isaak blickte ihn stumm an.
»Trotzdem ist es ein großes Unglück, natürlich … Der Mann, der dich in die Schult e r gestochen hat, den dann die Soldaten verwundet haben, i s t gestorben. Wußtest du das?«
Isaak nickte.
Der Doge z uckte mit den Achseln. »Ein alter Bauer.« Er schien peinlich berührt. Er war es gewöhnt, daß Christen einmal im Jahr ein Aschezeichen auf der Stirn trugen, aber anscheinend erschien ihm die Tatsache, daß Juden in ihrer Trauer sich Asche auf den Kopf streuten und sich in Sackleinen kleideten, ein weit e rer Beweis für deren Barbarei. »Wie
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