Der Diamant des Salomon
kein Telefon.«
»Arbeitet er zu Hause? Bitte geben Sie m i r die Adresse.« Sie antwo r t e te nic h t.
»Ich versichere Ihnen, daß er es für wichtig halten wird.«
»Rohov Chevrat Tehillim«, sagte sie zögernd. »Num m er achtundzwanzig.«
»Vielen Dank. In welchem Stadtteil liegt die Straße ? «
»In Mea She’ari m «, antwortete sie.
Vor m ehr als einem Jahrhundert war eine Gruppe litauischer und polnischer C h assidim aus dem jüdischen Viertel in Jerusalem ausgezogen und hatte sich außerhalb der alten Stadt ihr eigenes, m it Mauern u m gebenes Viertel gebaut, in dem es angeblich genau hundert W ohneinheiten gegeben hatte, weshalb das Viertel auch »die hundert Türen« oder Mea She’arim genannt wurde.
Heute ist die ursprüngliche Mauer f ast vollständig verschwunden. Überbevölkert von Menschen, für die seit Generationen die Geburtenkontrolle als Sünde gegolten hatte, war Mea She’arim ein brodelnder Slum geworden, der seine Grenzen längst gesprengt und um sich herum viele an d ere Viert e l m it reli g iösen Ei f erern hatte sprießen lassen.
Während Harry die Chevrat Tehilli m , die Straße der Psal m engesellschaft, suchte, be m erkte er überall die offen zur Schau gestellten Zei c hen religiöser Bevormundung. An einer Wand verkündete ein großes Schild in Englisch, Hebräisch und Jiddisch:
JÜDISCH E S MÄD C HEN! DIE TORA GEBIETET DIR, DICH SITTSAM ZU KLEIDEN. UNZÜCHT I G GEKLEIDETEN PERSONEN IST ES NICHT GESTATTET, UNSERE STRASSEN ZU BETRETEN.
Das Komitee für öffentliche Sittsamkeit
Am nächsten Häuserblock gri f f ein weite r es m e hrsprac h iges Schild die israelisc h e Regierung an, w eil sie es erlaubte, daß die Körper von Menschen, die der Herr im H i m m el erschaffen habe, durch Autopsien und Obduktionen entweiht würden.
Obwohl eine Stra ß e au s sah wie die andere, gab es keine Straßenschilder. Überall standen dieselben schiefen Häuser m it Läden im Erdgeschoß, über denen sich m ehrere Stockwerke m it W ohnungen befanden. Harry blickte sich hilflos u m . Zwei Buben spielten Fangen, ihre langen Stirnlocken tanzten ihnen beim Renn e n wie wild vor dem Gesicht heru m . Eine junge Frau ging, schwer beladen m it einem Bündel W äsche, an ihm vo r bei, ver m ied es aber, Harry anzublicken. Im Schatten eines Gebäudes daneben saß ein alter Mann in schwarzem Kaftan und Streimel. Er konnte Harry den W eg e rklären, a b er als dieser schließlich die Chevrat Tehillim fand, sah er, daß es nicht ein m al Hausnum m e rn gab.
Harry ging in einen Laden, der religiöse Gegenstände verkau f t e, u nd wollte d ort ei g entli c h nur nach dem Haus Num m er achtundzwanzig fragen, aber dann fiel sein Blick auf eine Reihe von wundervoll bestickten Käppchen, und er verbrachte ein paar Minuten da m it, ein paar davon für Jeffs Bar-Mizwa auszusuchen. Der Ladenbesitzer sagte ih m , daß Nummer achtundzwanzig das Haus direkt neben dem Laden sei und fragte: »Zu w e m wollen Sie denn dort ? «
»Zu Professor Leslau.«
Der Mann sah Harry neugierig an. »Den finden Sie in der linken Wohnung a uf d e m dritten Stockwerk.«
Das Treppenhaus in Num m er achtundzwanzig war eng und düster. Irgend je m and i m Haus kochte gerade Fisch. Als Harry die Tür der linken W ohnung im dritten Stock erreicht hatte, klopfte er a n, da er keinen Klingelknopf fand. Erst blieb es lange still, dann, gerade als Harry ein zweites Mal klopfte, fragte von drinnen die Stimme einer Frau, wer denn draußen sei.
»Ich m uß m i t Professor Leslau sprechen.«
Einen Augenblick später öffnete Leslau selbst die Tür.
»Hop e m an. W i e haben Sie m i ch bloß gefunden ? « Harry erzählte ihm von dem Mann i m Geschäft.
»Und der hat Ihnen gesagt, d a ß ich hier, in dieser W ohnung, bin ? « Leslau preßte die Lippen aufeinander. »Der dreckige Bastard.«
Hinter Leslau erblickte Harry eine Frau, die w ohl so an die Vierzig sein m ußt e . Sie trug ein Kopftuch, und ihr schlanker K örper steckte in einem weiten, braunen Hauskleid m it la n gen Är m eln.
»Das ist Mrs. Silitsky, Mr. Hope m an.«
Die Frau nickte ernst z u r Begrüßung. Sie trug kein Make-up und hatte ein vogela r tiges, spitzes Gesicht m it einer scharfen Nase. » L aß doch den Herrn herein, David«, sagte s i e.
»Ich werde m it ihm in m eine eigene W ohnung gehen«, entgegnete Leslau.
» W ie du willst.«
»Aber ich sehe dich später, Rachel, oder ? « Sie nickte. »Guten Tag, Mr. Hope m a n.«
»Guten Tag,
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