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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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blickte nach unten.
    Von all den Dingen, die er in seinem bisherigen Leben gesehen hatte, von all den Orten, an denen er gewesen war, und von all den zahllosen Orten, über die er gelesen hatte, konnte nichts auch nur ansatzweise mit dem Anblick konkurrieren, der sich ihm jetzt bot.
    Einen Augenblick stand er da und ließ auf sich wirken, was er sah. Sein Verstand wehrte sich gegen den Anblick, weil er mit dem Verstand nicht zu erfassen war, doch sein Herz war stärker, und so lächelte er.
    »Was stehst du denn da rum?«, fragte Busch, als er hinter Michael aus der Höhle kletterte. Er kontrollierte gerade seine Waffen und erkannte erst, warum Michael wie gebannt dastand, als auch er hinunterblickte auf die Welt, die sich unter ihnen auftat. Im ersten Moment staunte er nur; dann gelangte er zu der Überzeugung, dass das, was er sah, unmöglich sein konnte. Dann schaute er noch einmal hin und flüsterte ehrfürchtig: »Mein Gott.«

46.
    M ichael blickte auf einen gewaltigen Innenhof hinunter, der vielleicht doppelt so groß war wie ein Fußballfeld. Der Boden war üppig bewachsen – ein schroffer Kontrast zu der von Frost und Eis gegeißelten Welt auf der anderen Seite des Tunnels hinter ihm. Sanft fiel der Schnee und schmolz, sobald er den warmen Boden berührte. Es war eine Welt, die mit nichts zu vergleichen war, was Michael je zuvor gesehen hatte. Ein Fluss plätscherte durchs Gelände, und das Rauschen des Wassers hallte von den Felswänden wider, die das Tal umarmten. Warme Nebel hoben sich und bildeten Schwaden über dem fließenden Wasser, schwebten davon und benetzten die grünen Ufer. Über den Fluss führte eine von der Natur geschaffene Brücke, die unter der Felswand auf der anderen Seite verschwand. Das Gelände war eingekeilt zwischen dem felsigen Gestein. Es sah aus wie eine eigene Welt auf dem Grund einer Quelle. Michael blickte hinauf zu den tanzenden Schneeflocken, die von den aufsteigenden Luftströmungen in die Höhe getragen wurden.
    Neben ihnen, vor der Felswand, blubberten zwei kleine Geysire. Aus ihren klaren Wassern stieg Dampf.
    Michael fuhr mit der Hand durch das Gras, über die Felsen und an der Granitwand entlang; sie war warm.
    »Das ist unglaublich«, sagte Busch. »Das kann nicht sein.«
    »Es hat mit Geothermie zu tun – wie die Quellen, die Banyo uns gezeigt hat«, erklärte Michael. »Wasser läuft am Gestein tief in die Erde, wo es sich in Dampf verwandelt. Durch Risse im Granit steigt der heiße Dampf dann nach oben und sorgt für Wärme. Und die Wärme des Felsgesteins erhitzt den Boden und hält die untere Luftschicht auf einer gemäßigten Temperatur.«
    Ein kleiner Schwarm gelber Vögel schwirrte umher; mit weit gespreizten Flügeln ließen sie sich von den Aufwinden in die Höhe tragen, um dann plötzlich wieder in die Tiefe hinabzuschießen, damit die eisige Kälte der Bergluft sie nicht erfrieren ließ.
    Auf der anderen Seite des Geländes stand ein großer Tempel. Er erhob sich auf einem kleinen Hügel und schien aus dem Felsgestein herausgewachsen zu sein. Er war aus dunklen, glänzenden Blöcken errichtet worden und hatte ein schräges Dach, das mit schweren Ziegeln gedeckt war. Eine breite überdachte Veranda zog sich um das gesamte Gebäude herum, und dunkelrote, filigrane Holzverzierungen schmückten die Untermauerung des Daches und die Ecken, Fenster und Säulen des gewaltigen Bauwerks. Eine lange Treppenflucht führte zu einer großen geschnitzten Tür, deren Farbe schwärzer war als die Nacht. Das Gebäude schien im orientalischen Stil errichtet worden zu sein, war aber trotzdem einzigartig, wie aus einem uralten Märchen.
    In dem gepflegten Steingarten, der sich zu beiden Seiten der Treppenflucht erstreckte, wuchsen farbenprächtige Begonien, Orchideen und Ringelblumen. Rhododendron kletterte mit dicken, grünen, wachsigen Blättern an den Felswänden empor, und auf dem Grund wuchsen Wachholdersträucher, deren Zweige schwer und alt waren; einige versuchten verzweifelt, die kargen Felswände zu erklimmen.
    Jeder Fels, jede Pflanze stand in perfekter Harmonie zueinander, als wäre dies alles von einem göttlichen Architekten angelegt und mit der Präzision eines Bonsai-Gärtners beschnitten worden.
    »He«, meinte Busch und schnippte mit dem Finger. »Das ist ja ganz hübsch, aber …«
    »Ich weiß«, erwiderte Michael und machte seinen Tagträumereien ein Ende.
    »Meinst du, die wissen, dass wir hier sind?«
    »Ich kann mir nicht denken, dass sie hier oben

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