Der Dienstagabend-Club
Wort nie gehört hatte? Würde sie nicht den Eindruck gehabt haben, er habe ›Pille‹ und ›Karpfen‹ gesagt?«
»Wahrhaftig!«, rief Sir Henry erstaunt.
»Darauf wäre ich nie gekommen«, gab Dr. Pender zu.
»Höchst interessant«, meinte Mr Petherick. »Wirklich höchst interessant.«
»Ich schlug rasch die im Verzeichnis angegebene Seite auf«, fuhr Miss Marple fort, »und las, was da stand über Pilokarpin und seine Wirkung auf die Augen und vieles andere, das mit unserem Fall nichts zu tun zu haben schien, aber schließlich stieß ich auf eine höchst bedeutsame Stelle: Ist mit Erfolg als Gegengift bei Atropinvergiftung angewandt worden.
Da fiel es mir auf einmal wie Schuppen von den Augen, kann ich Ihnen sagen. Ich hatte ja nie richtig daran geglaubt, dass Geoffrey Denman Selbstmord begangen hatte. Diese neue Lösung war nicht nur möglich, sondern ich war fest überzeugt, dass sie die einzig richtige war; denn jede Tatsache ergab sich logisch aus der anderen.«
»Ich mache erst gar nicht den Versuch zu raten«, erklärte Raymond. »Erzähl weiter von deiner auffallenden Entdeckung, Tante Jane.«
»Von Medizin habe ich natürlich keine Ahnung«, fuhr Miss Marple fort, »aber eines wusste ich. Als meine Augen schlecht wurden, verordnete mir der Arzt Tropfen, die Atropinsulfat enthielten. Ich marschierte schnurstracks nach oben in das Zimmer des alten Mr Denman.
›Mr Denman‹, sagte ich. ›Warum haben Sie Ihren Sohn vergiftet?‹
Er blickte mich eine Weile an – und ich muss sagen, er war ein ziemlich gutaussehender alter Herr – und brach dann in ein schallendes Gelächter aus. Es war das boshafteste Lachen, das ich je gehört hatte. Ich bekam eine richtige Gänsehaut.
›Ja‹, antwortete er, ›nun bin ich quitt mit Geoffrey. Ich war zu klug für ihn. Er wollte mich in eine Anstalt stecken, nicht wahr? Ich habe wohl gehört, wie sie darüber gesprochen haben. Mabel ist ein gutes Mädchen – Mabel trat für mich ein, aber ich wusste, dass sie sich auf die Dauer nicht gegen Geoffrey behaupten konnte. Letzten Endes hätte er doch seinen Willen bekommen, wie immer. Aber ich habe mit ihm abgerechnet – habe mit meinem liebevollen Sohn abgerechnet! Ha, ha! In der Nacht habe ich mich hinuntergeschlichen. Es war ganz leicht. Brewster war ja fort. Mein teurer Sohn schlief bereits. Neben seinem Bett stand ein Glas Wasser, das er immer trank, wenn er mitten in der Nacht aufwachte. Ich goss es aus – ha, ha! – und füllte meine Augentropfen in das Glas. Wenn er aufwachte, würde er sie ahnungslos hinunterschütten. Es war nur ein Esslöffel voll – aber genug, völlig genug. Und er hat sie dann auch getrunken! Am nächsten Morgen kamen sie alle zu mir und brachten es mir ganz schonend bei. Sie hatten Angst, es würde mich zu sehr aufregen. Ha! Ha! Ha! Ha! Ha!‹
Nun«, schloss Miss Marple, »damit ist die Geschichte zu Ende. Der arme alte Mann wurde natürlich in eine Anstalt gebracht. Er war für seine Tat nicht verantwortlich. Sobald die Wahrheit bekannt wurde, brachte man Mabel wieder Sympathie und Freundschaft entgegen und man konnte nicht genug tun, um den angerichteten Schaden wiedergutzumachen. Aber wenn Geoffrey nicht gemerkt hätte, was für einen Stoff er geschluckt hatte, und nicht versucht hätte, das Gegengift zu nennen, das man ihm unverzüglich holen sollte, wäre die Wahrheit wahrscheinlich nie an den Tag gekommen. Ich glaube, bei einer Atropinvergiftung sind ganz bestimmte Symptome vorhanden – erweiterte Pupillen und dergleichen; aber der arme alte Dr. Rawlinson war, wie ich schon erwähnte, sehr kurzsichtig. Und in demselben medizinischen Werk, in dem ich weiterlas – manches war höchst interessant –, wurden die Symptome von Pilzvergiftung und Atropinvergiftung beschrieben, und sie waren sich in ihren Auswirkungen nicht unähnlich. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich niemals frischen Schellfisch gesehen habe, ohne an die Daumenabdrücke des heiligen Petrus zu denken.«
Es entstand eine lange Pause.
»Meine liebe Freundin«, unterbrach Mr Petherick das Schweigen, »meine sehr liebe Freundin, Sie sind geradezu erstaunlich.«
»Ich werde Scotland Yard empfehlen, sich bei Ihnen Rat zu holen«, erklärte Sir Henry.
»Aber eins, liebe Tante Jane«, sagte Raymond, »weißt du jedenfalls nicht.«
»Doch, mein lieber Neffe«, erwiderte Miss Marple. »Es geschah gerade vor dem Essen, nicht wahr? Als du Joyce mit in den Garten nahmst, um den Sonnenuntergang zu bewundern.
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