Der Dienstagabend-Club
Bekenntnis der Dame mir gegenüber hatte niemand anders gehört. Ich ließ dem Schicksal seinen Lauf. Miss Amy Barton starb sechs Monate nach unserer Begegnung. Ich habe mich oft gefragt, ob sie wohl bis zum letzten Augenblick heiter und ohne Reue war.«
»Sicherlich nicht«, meinte Mrs Bantry.
»Ich glaube doch«, war Miss Marples Ansicht. »Mrs Trout war es jedenfalls.«
Jane Helier schüttelte sich ein wenig.
»Nun«, sagte sie. »Das ist ja alles sehr, sehr spannend. Aber eines verstehe ich nicht so ganz: Wer ertränkte wen? Und was hat Mrs Trout auf einmal damit zu tun?«
»Nichts, meine Liebe«, erwiderte Miss Marple. »Sie war nur eine Person – eine nicht sehr nette Person – in unserem Dorf.«
»Oh!«, meinte Jane. »Im Dorf. Aber in einem Dorf passiert doch nie etwas, nicht wahr?« Sie seufzte. »Wenn ich in einem Dorfe lebte, würde ich sicher vollständig verdummen.«
Die vier Verdächtigen
D ie Unterhaltung drehte sich weiter um unentdeckte und unbestrafte Verbrechen. Jeder der Anwesenden äußerte der Reihe nach seine Meinung: Colonel Bantry, seine rundliche, liebenswürdige Frau, Jane Helier, Dr. Lloyd und sogar die alte Miss Marple. Nur eine Person äußerte sich nicht dazu, und das war die Person, die sich nach Ansicht der meisten Leute am besten dazu eignete. Sir Henry Clithering, Ex-Kommissar von Scotland Yard, saß schweigend da und drehte an seinem Schnurrbart oder streichelte ihn vielmehr. Dabei schmunzelte er, als ob ein heimlicher Gedanke ihn köstlich amüsiere.
»Sir Henry«, wandte sich Mrs Bantry zu guter Letzt an ihn, »wenn Sie nicht bald Ihren Mund auf tun, fange ich an zu schreien, gibt es nicht eine ganze Menge Verbrechen, bei denen der Täter unbestraft entkommt?«
»Sie denken an die Schlagzeilen in den Zeitungen, Mrs Bantry. Sco t land Yard wieder auf falscher Fährte, und dann folgt eine Aufzählung von ungesühnten Verbrechen.«
»Die vermutlich in Wirklichkeit nur einen kleinen Prozentsatz ausmachen, nicht wahr?«, meinte Dr. Lloyd.
»Ja, das stimmt. Die Hunderte von Verbrechen, die aufgeklärt und deren Täter bestraft worden sind, werden selten besungen. Aber das ist nicht der strittige Punkt, nicht wahr? Unentdeckte Verbrechen und ungesühnte Verbrechen sind zwei verschiedene Dinge. Unter die erste Kategorie fallen alle Verbrechen, von denen Scotland Yard niemals etwas erfährt, Verbrechen, die begangen werden, ohne dass jemand etwas davon weiß.«
»Aber die Zahl solcher Verbrechen ist wohl nicht sehr groß«, meinte Mrs Bantry.
»Haben Sie ‘ne Ahnung!«
»Sir Henry! Das ist doch nicht Ihr Ernst?!«
»Ich möchte sagen«, bemerkte Miss Marple nachdenklich, »dass die Zahl sehr beträchtlich sein muss.«
Die charmante alte Dame mit ihrer ruhigen, altjüngferlichen Art machte diese Feststellung in äußerst gelassenem Ton.
»Aber meine liebe Miss Marple«, rief der Colonel erstaunt.
»Natürlich«, erklärte Miss Marple, »gibt es eine Reihe von dummen Leuten, und dumme Leute fallen meistens herein. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele kluge Leute, und es überläuft einen ganz kalt, wenn man daran denkt, was sie alles fertigbringen können, falls sie nicht tief eingewurzelte Prinzipien haben.«
»Ja«, stimmte Sir Henry zu, »es gibt sehr viele Leute, die nicht dumm sind. Wie oft kommt ein Verbrechen nur an den Tag, weil jemand unglaublich gestümpert hat, und jedes Mal fragt man sich: Hätte man je etwas davon erfahren, wenn die Sache nicht verpfuscht worden wäre?«
»Das ist aber eine sehr ernste Angelegenheit, Clithering«, bemerkte Colonel Bantry. »In der Tat, eine sehr ernste Angelegenheit.«
»Meinen Sie?«
»Was soll das heißen: Meinen Sie? Natürlich ist die Sache ernst.«
»Sie sagen: Der Verbrecher kommt ungestraft davon; ist das aber so? Vielleicht wird er nicht vom Gesetz bestraft; aber der Zusammenhang von Ursache und Wirkung gilt auch außerhalb des Gesetzes. Jedes Verbrechen birgt seine eigene Strafe in sich – das ist vielleicht ein Klischee, aber meiner Ansicht nach trifft es zu.«
»Möglich, möglich«, erwiderte Colonel Bantry. »Aber das beeinträchtigt nicht den Ernst – den – hm – Ernst der Frage – « Er brach in einiger Verlegenheit ab.
Sir Henry Clithering lächelte.
»Neunundneunzig Prozent der Menschen sind zweifellos Ihrer Meinung«, sagte er. »Aber wissen Sie, in diesen Fällen ist die Schuld nicht so wichtig wie die – Unschuld. Das macht sich niemand so richtig klar.«
»Das verstehe ich
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