Der Dienstagabend-Club
nicht«, erklärte Jane Helier.
»Aber ich«, sagte Miss Marple. »Als Mrs Trent entdeckte, dass eine halbe Krone aus ihrer Handtasche verschwunden war, hatte Mrs Arthur, die Putzfrau, am meisten darunter zu leiden. Die Trents hatten sie natürlich in Verdacht, aber da sie freundliche Menschen waren und wussten, dass sie eine große Familie und einen Trinker zum Mann hatte, wollten sie die Sache nicht aufbauschen. Aber ihre Einstellung ihr gegenüber änderte sich, und sie ließen das Haus nicht mehr in ihrer Obhut, wenn sie verreisten, wodurch sie natürlich einen ziemlichen Verdienstausfall hatte. Und andere Leute wurden dadurch ebenfalls in ihrem Verhalten ihr gegenüber beeinflusst. Und dann stellte es sich plötzlich heraus, dass es die Gouvernante war. Mrs Trent sah durch eine Tür ihr Spiegelbild. Der reinste Zufall – obgleich ich es lieber Vorsehung nenne. Und das ist es, glaube ich, was Sir Henry im Sinn hat. Die meisten Menschen würden sich nur dafür interessieren, wer das Geld nahm, und es war gerade die unwahrscheinlichste Person – genau wie in Detektivgeschichten! Aber die Person, für die es die Hölle auf Erden bedeutete, war die arme Mrs Arthur, die ganz unschuldig war. Das hatten Sie doch gemeint, nicht wahr, Sir Henry?«
»Ja, Miss Marple, Sie haben wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Putzfrau in dem von Ihnen erwähnten Beispiel konnte noch von Glück reden. Ihre Unschuld wurde erwiesen. Aber andere müssen ihr ganzes Leben lang unter der Last eines Verdachtes leiden, der wirklich ungerechtfertigt ist.«
»Haben Sie etwa einen besonderen Fall dabei im Sinn, Sir Henry?«, fragte Mrs Bantry verschmitzt.
»Allerdings, Mrs Bantry. Ein merkwürdiger Fall. Ein Fall, bei dem wir glauben, dass ein Mord begangen worden ist, und bei dem wir keinerlei Chancen haben, es je beweisen zu können.«
»Gift, wahrscheinlich«, hauchte Jane. »Etwas, das keine Spuren hinterlässt.«
Sir Henry schüttelte den Kopf.
»Nein. Nicht das geheimnisvolle Pfeilgift der südamerikanischen Indianer! Ich wollte, es wäre etwas Derartiges. Wir haben es mit etwas zu tun, das weit prosaischer ist – in der Tat so prosaisch, dass keine Hoffnung besteht, den Täter zu überführen. Es handelt sich um einen alten Herrn, der die Treppe hinunterfiel und sich das Genick brach. Einer jener bedauerlichen Unfälle, die jeden Tag vorkommen können.«
»Aber was ist in Wirklichkeit geschehen?«
»Wer kann das sagen?« Sir Henry zuckte die Achseln. »Ein Stoß von hinten? Ein über die Treppe gespannter und nachher sorgfältig entfernter Bindfaden? Das werden wir niemals erfahren.«
»Aber Sie sind der Ansicht, dass es – kein Unfall war? Warum?«, fragte Doktor Lloyd.
»Das ist eine reichlich lange Geschichte, aber – nun ja, wir sind unserer Sache ziemlich sicher. Wie gesagt, besteht leider keine Chance, den Täter zu überführen, das Beweismaterial ist zu fadenscheinig. Aber da ist die andere Seite des Falles zu berücksichtigen – die Seite, von der wir vorhin sprachen. Es handelt sich nämlich um vier Personen, die diese Tat begangen haben könnten. Eine davon ist schuldig; die anderen drei sind unschuldig! Und wenn die Wahrheit nicht an den Tag kommt, ruht auf den anderen drei der schreckliche Schatten des Verdachts.«
»Ich glaube«, schlug Mrs Bantry vor, »es ist besser, wenn Sie uns Ihre lange Geschichte erzählen.«
»Ich brauche sie ja nicht so ausführlich zu schildern«, meinte Sir Henry. »Auf jeden Fall kann ich den Anfang abkürzen. Er handelt von einer deutschen Geheimgesellschaft – der Schwarzen Hand –, etwas Ähnliches wie die Camorra oder was die meisten sich unter Camorra vorstellen. Sie arbeitet mit Erpressung und Terror. Die Geschichte fing kurz nach dem Kriege an und verbreitete sich in erstaunlicher Weise. Zahllose Menschen fielen ihr zum Opfer. Den Behörden gelang es nicht, sie auszurotten, denn ihre Geheimnisse wurden ängstlich gehütet, und es war fast unmöglich, jemanden zu finden, der sich dazu bewegen ließ, sie zu verraten.
In England wusste man nicht viel darüber, aber in Deutschland übte die Gesellschaft eine höchst lähmende Wirkung aus. Letzten Endes wurde sie durch die Anstrengungen eines einzigen Mannes aufgespürt und zerstreut. Dieser Mann hieß Dr. Rosen, und er hatte einst eine prominente Rolle im Geheimdienst gespielt. Er wurde Mitglied der Gesellschaft, konnte auf diese Weise bis in ihre innersten Kreise vordringen und führte so ihren Untergang
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