Der Distelfink
der Hochzeit erfuhr sie, dass der Wagen eigentlich nicht ihm gehörte. Anscheinend fand sie das komisch– aber angesichts anderer, weniger amüsanter Tatsachen, die ans Licht kamen, nachdem sie verheiratet waren (zum Beispiel seine mehrfachen Verhaftungen als Jugendlicher, warum, war nicht klar), wunderte es mich doch, dass sie an dieser Geschichte irgendetwas besonders Unterhaltsames finden konnte.
» Äh, hast du dieses Auto schon lange? « , fragte ich über die Unterhaltung auf dem Vordersitz hinweg.
» Oh– meine Güte– etwas mehr als ein Jahr jetzt, oder, Xan? «
Ein Jahr? Daran hatte ich noch zu knabbern, denn es bedeutete, dass mein Dad den Wagen (und Xandra) angeschafft hatte, bevor er verschwunden war. Als ich aufblickte, sah ich, dass die Ladenzeilen einem endlos erscheinenden Netz von kleinen Wohnhäusern mit Putzwänden gewichen waren. Trotz der schachtelartigen, ausgebleichten Gleichförmigkeit– Reihe um Reihe wie die Steine auf einem Friedhof– waren etliche Häuser in festlichen Pastellfarben angestrichen (Mintgrün, Rancho-Pink, milchiges Wüstenblau), und die scharfen Schatten und die stachligen Wüstenpflanzen hatten etwas aufregend Fremdländisches. Aufgewachsen in der Stadt, wo es nie genug Platz gab, war ich sogar angenehm überrascht. Es wäre mal was Neues, in einem Haus mit Garten zu wohnen, selbst wenn der Garten nur aus braunen Steinen und Kakteen bestand.
» Ist das immer noch Las Vegas? « Zum Zeitvertreib versuchte ich zu erkennen, wodurch sich einzelne Häuser voneinander unterschieden: Hier war es ein Türbogen, dort ein Swimmingpool oder eine Palme.
» Was du jetzt siehst, ist ein ganz anderer Teil. « Mein Dad exhalierte geräuschvoll und drückte seine dritte Viceroy aus. » Touristen bekommen das hier nie zu sehen. «
Wir fuhren jetzt schon eine ganze Weile, aber es gab keine Orientierungspunkte, und es war unmöglich zu erkennen, wohin oder in welche Richtung wir fuhren. Die Kulisse war monoton und immer gleich, und ich befürchtete, wir würden an den pastellfarbenen Häusern vorbei und in die Alkali-Einöde dahinter fahren, in einen sonnenverbrannten Trailer Park, wie ich ihn aus dem Kino kannte. Aber stattdessen wurden die Häuser zu meiner Überraschung wieder größer, zweigeschossig, mit Kaktusgärten, Zäunen, Pools und Garagen für zwei oder noch mehr Autos.
» Okay, das sind wir « , sagte mein Dad und bog in eine Straße ein, an deren Ecke eine imposante Granittafel mit kupfernen Buchstaben stand: Die Canyon Shadows Ranches.
» Ihr wohnt hier ? « , fragte ich beeindruckt. » Gibt’s da einen Canyon? «
» Nein, es heißt nur so « , sagte Xandra.
» Weißt du, es gibt eine Menge verschiedene Siedlungen hier draußen. « Mein Dad massierte sich den Nasenrücken, und ich hörte an dem altvertrauten, raspelnden Ton, den seine Stimme annahm, wenn er einen Drink brauchte, dass er müde und nicht besonders gut gelaunt war.
» Man nennt das Ranch Communitys « , erklärte Xandra.
» Genau. Von mir aus. Ach, halt die Schnauze « , fauchte mein Dad und langte nach vorn, um die Lautstärke leiser zu drehen, als die Frauenstimme in seinem Navi sich mit neuen Anweisungen meldete.
» Sie haben alle verschiedene Themen, quasi « , sagte Xandra und tupfte sich mit der Spitze des kleinen Fingers Lipgloss auf den Mund. » Da gibt’s Pueblo Breeze, Ghost Ridge, Dancing Deer Villas. Spirit Flag heißt die Golf-Community? Und Encantada ist die schickste, mit ’ner Menge Investment-Immobilien– hey, du musst hier abbiegen, Schätzchen. « Sie packte ihn beim Ellenbogen.
Mein Dad fuhr weiter geradeaus und antwortete nicht.
» Scheiße! « Xandra drehte sich um und schaute auf die Straße hinaus, die hinter uns zurückblieb. » Warum musst du immer den langen Weg nehmen? «
» Fang nicht mit deinen Abkürzungen an. Du bist genauso schlimm wie die Navi-Lady. «
» Yeah, aber es geht schneller. Eine Viertelstunde. Jetzt müssen wir ganz um Dancing Deer rumfahren. «
Mein Dad atmete genervt aus. » Hör zu… «
» Was ist denn so schwer daran, nach Gitana Trails rüberzufahren und zweimal links und einmal rechts abzubiegen? Denn mehr ist das nicht. Wenn du am Desatoya… «
» Hey. Möchtest du ans Steuer? Oder lässt du mich jetzt den Scheißwagen fahren, verdammt? «
Ich wusste, dass ich meinen Vater besser nicht reizte, wenn er in diesem Ton redete, und Xandra wusste es anscheinend auch. Sie warf sich auf ihrem Sitz nach vorn und drehte mit bewusst
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