Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
Kopfschmerzen und einen hässlichen Metallgeschmack im Mund, als hätte ich eine Handvoll Kleingeld gelutscht.
    Ich lag sehr still da; ich hatte das Gefühl, ich würde mich übergeben, wenn ich den Kopf auch nur einen Zentimeter weit bewegte. Dann– sehr vorsichtig– richtete ich mich auf.
    » Boris? « Ich rieb mir mit der flachen Hand den Nacken. Der Kissenbezug war mit rostbraunen Blutstreifen beschmiert. » Bist du wach? «
    » O Gott « , stöhnte Boris. Totenbleich und klebrig verschwitzt, wälzte er sich auf den Bauch und krallte die Hände in die Matratze. Er war nackt bis auf seine Sid-Vicious-Armbänder und eine Unterhose, die aussah wie eine von mir. » Ich muss brechen. «
    » Aber nicht hier. « Ich gab ihm einen Tritt. » Hoch mit dir. «
    Brummelnd stolperte er hinaus. In meinem Badezimmer hörte ich ihn würgen. Von dem Geräusch wurde mir übel, aber ich fand es auch rasend komisch. Ich drehte mich herum und lachte in mein Kissen. Als er wieder hereingestolpert kam und sich den Schädel hielt, sah ich erschrocken sein blaues Auge, die blutverklebte Nase und die verkrustete Wunde auf der Stirn.
    » Mann « , sagte ich, » das sieht übel aus. Das muss genäht werden. «
    » Weißt du was? « Boris warf sich bäuchlings auf die Matratze.
    » Was? «
    » Wir kommen zu spät in die scheiß Schule! «
    Wir warfen uns auf den Rücken und brüllten vor Lachen. Trotz aller Schwäche und Übelkeit glaubte ich, ich würde nie mehr aufhören können.
    Boris rollte sich herum und tastete mit einem Arm auf dem Boden herum. Einen Augenblick später kam sein Kopf wieder hoch. » Ah! Was ist das? «
    Ich richtete mich auf und griff eifrig nach dem Glas Wasser oder dem, was ich dafür hielt. Er hielt es mir unter die Nase– und der Geruch ließ mich würgen.
    Boris johlte. Blitzschnell war er über mir: spitze Knochen und klamme Haut, ein Geruch von Schweiß und Kotze und noch etwas anderem, roh und schmutzig wie stehendes Tümpelwasser. Er kniff mich schmerzhaft in die Wange und goss mir das Glas Wodka ins Gesicht. » Zeit für deine Medizin! Na, na « , sagte er, als ich ihm das Glas aus der Hand schlug, dass es durch die Luft flog, und ihm einen Schlag auf den Mund verpassen wollte, der ihn aber nur streifte. Popper bellte aufgeregt. Boris nahm mich in den Schwitzkasten, raffte mein schmutziges Hemd vom vergangenen Tag auf und wollte es mir in den Mund stopfen, aber ich war zu schnell und schleuderte ihn vom Bett, sodass er mit dem Kopf gegen die Wand flog. » Au, scheiße « , sagte er. Schlaftrunken rieb er sich das Gesicht mit der flachen Hand und kicherte.
    Unsicher stand ich auf, und kalter Schweiß prickelte auf meiner Haut. Ich suchte mir den Weg ins Bad, und in einem heftigen Schwall– und noch einem, mit einer Hand gegen die Wand gestützt– entleerte ich meinen Mageninhalt ins Klo. Nebenan hörte ich ihn lachen.
    » Steck dir zwei Finger in den Hals « , rief er– und dann noch etwas, das ich nicht verstand, weil ein neuer Brechreiz mich schüttelte.
    Als es vorbei war, spuckte ich ein oder zwei Mal aus und wischte mir mit dem Handrücken über den Mund. Das Badezimmer war verwüstet: Die Dusche tropfte, die Tür stand offen, klatschnasse Handtücher und blutige Waschlappen lagen zusammengeknüllt auf dem Boden. Immer noch fröstelnd vor Übelkeit, trank ich aus den gewölbten Händen am Waschbecken und wusch mir das Gesicht. Mein nackter Oberkörper im Spiegel war geduckt und bleich, und ich hatte eine dicke Lippe, wo Boris’ Faust mich in der Nacht getroffen hatte.
    Boris lag immer noch auf dem Boden wie eine Puppe ohne Knochen, den Kopf aufrecht an die Wand gelehnt. Als ich hereinkam, klappte er das heile Auge auf und gluckste. » Alles besser? «
    » Leck mich! Quatsch mich nicht an, du Arsch! «
    » Geschieht dir recht. Hab ich dir nicht gesagt, du sollst nicht mit dem Glas rumspielen? «
    » Ich? «
    » Weißt du nicht mehr, was? « Mit der Zungenspitze strich er über die Oberlippe, um zu fühlen, ob es wieder angefangen hatte zu bluten. Ohne Hemd sah man all die Lücken zwischen seinen Rippen, die Spuren alter Schläge und die roten Hitzeflecken hoch oben auf seiner Brust. » Das Glas auf dem Boden, sehr schlechte Idee. Bringt Unglück! Ich hab dir gesagt, du sollst es nicht da stehen lassen! Großes Unglück für uns! «
    » Du hättest es mir aber nicht über den Kopf zu schütten brauchen. « Linkisch setzte ich mir die Brille auf und griff mir die erstbeste Hose vom gemeinschaftlichen

Weitere Kostenlose Bücher