Der Distelfink
auch, aber er bedeutet Ärger, der Junge. «
» Du musst es ja wissen. «
Sie lachte kalt. » Weißt du was, Bürschchen? Ich hab schon ein paar Runden gedreht– und ja, ich weiß es. Er landet garantiert im Gefängnis, noch vor seinem achtzehnten Geburtstag, und du wirst direkt neben ihm sitzen. Ich meine, ich kann es dir nicht verdenken « , sagte sie und hob erneut die Stimme, » ich habe deinen Dad geliebt, obwohl er bestimmt nicht viel getaugt hat, genau wie deine Mutter, nach allem, was er mir erzählt hat. «
» Okay. Das reicht. Du kannst mich mal am Arsch lecken. « Ich zitterte vor Wut. » Ich lege jetzt auf. «
» Nein– warte. Warte. Tut mir leid. Das über deine Mutter hätte ich nicht sagen sollen. Deswegen wollte ich auch gar nicht mit dir sprechen. Bitte. Bleibst du noch einen Moment dran? «
» Ich warte. «
» Erstens– vorausgesetzt, es kümmert dich–, ich lasse deinen Dad einäschern. Bist du damit einverstanden? «
» Mach, was du willst. «
» Du hattest nie viel für ihn übrig, oder? «
» Ist das alles? «
» Noch eine Sache. Mir ist es ehrlich gesagt egal, wo du bist. Aber ich brauche eine Adresse, unter der ich dich erreichen kann. «
» Und wozu das? «
» Sei kein Klugscheißer. Irgendwann wird jemand von deiner Schule oder so anrufen… «
» Darauf würde ich mich nicht verlassen. «
» … und dann brauche ich, ich weiß nicht, irgendeine Erklärung, wo du bist. Wenn du nicht willst, dass die Bullen dein Foto auf Milchkartons drucken oder so. «
» Das halte ich für einigermaßen unwahrscheinlich. «
» Einigermaßen unwahrscheinlich « , wiederholte sie in einer gemeinen, gedehnten Imitation meiner Stimme. » Nun, mag sein. Aber gib sie mir trotzdem, und dann sind wir quitt. Ich meine « , sagte sie, als ich nicht antwortete, » ich sag dir ganz offen, es ist mir egal, wo du bist. Ich will bloß nicht diejenige sein, die hier draußen verantwortlich ist, falls es ein Problem gibt und ich Kontakt mit dir aufnehmen muss. «
» Es gibt einen Anwalt in New York. Bracegirdle heißt er. George Bracegirdle. «
» Hast du eine Telefonnummer? «
» Guck sie nach « , sagte ich. Pippa war in den Raum gekommen, um eine Schüssel Wasser für den Hund zu holen, und ich drehte mich verlegen zur Wand, um sie nicht ansehen zu müssen.
» Brace Girdle ? « , fragte Xandra. » So wie man es spricht? Was zum Teufel ist das für ein Name? «
» Hör zu, ich bin sicher, du bist in der Lage, ihn zu finden. «
Wir schwiegen, bis Xandra sagte: » Weißt du was? «
» Was denn? «
» Das war dein Vater, der gestorben ist? Dein eigener Vater. Und du benimmst dich, als wäre es, ich weiß nicht, ich würde sagen der Hund, aber noch nicht mal der Hund. Denn ich weiß, dass es dir nahegehen würde, wenn der Hund überfahren würde, zumindest glaube ich das. «
» Sagen wir, ich hab mir genauso viel aus ihm gemacht wie er sich aus mir. «
» Und ich sag dir was. Du und dein Dad, ihr seid euch sehr viel ähnlicher, als du vielleicht denkst. Du bist ganz sein Sohn, durch und durch. «
» Und du bist voller Scheiße « , sagte ich nach einer kurzen verächtlichen Pause– eine Erwiderung, die die Situation meinem Eindruck nach ziemlich gut auf den Punkt brachte. Aber noch lange nachdem ich aufgelegt hatte, als ich niesend und zitternd in einem heißen Bad saß und in dem hellen Dunst danach (Aspirin-Tabletten schluckend, die Hobie mir gegeben hatte, bevor ich ihm durch den Flur in das muffige Gästezimmer folgte, pack dich gut ein, in der Truhe sind zusätzliche Decken, nein, nicht mehr reden, ich lasse dich jetzt allein ), hallte ihre letzte spitze Bemerkung in meinem Kopf wider, als ich mein Gesicht in das schwere, fremd riechende Kissen drehte. Es war nicht wahr– genauso wenig wie das, was sie über meine Mutter gesagt hatte. Allein bei der Erinnerung an ihre kratzige trockene Stimme in der Leitung fühlte ich mich schmutzig. Scheißblödekuh, dachte ich. Vergiss es. Sie war eine Million Meilen weit weg. Aber obwohl ich todmüde– mehr als todmüde– und das klapprige Messingbett das weichste Bett war, in dem ich je geschlafen hatte, zogen sich ihre Worte die ganze Nacht wie ein hässlicher Faden durch meine Träume.
III
Wir sind so gewohnt, uns vor anderen zu verstellen,
dass wir uns schließlich vor uns selber verstellen.
FRANÇOIS DE LA ROCHEFOUCAULD
KAPITEL 7
Der-Laden-hinter-dem-Laden
I
Von dem Geklapper eines Müllwagens aufzuwachen war, als wäre ich in ein
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