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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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ihm ein großes Steak. Oft brauchte es nicht mehr, um ihn wieder ins Lot zu bringen. Und ich meine– im Hinterkopf hatte ich den Gedanken, dass wir auf dem Festland, falls er sich nicht beruhigte, das Steakhaus vergessen und ihn in die Notaufnahme bringen könnten, wenn es sein muss. Ich habe Andy nur mitgenommen, um sicherzugehen. Ich dachte, ich könnte eine helfende Hand gebrauchen– ehrlich gesagt war ich am Abend zuvor lange aus gewesen und fühlte mich nicht ganz an Deck, wie Daddy zu sagen pflegte. « Er hielt inne und rieb sich die Hände an den Schenkeln seiner Tweedhose ab. » Na ja. Andy hat das Wasser nie besonders gemocht. Wie du weißt. «
    » Ich erinnere mich. «
    Platt verzog das Gesicht. » Ich habe Katzen gesehen, die besser schwimmen können als Andy. Ich meine, Andy war so ziemlich das tolpatschigste Kind, das ich je gesehen habe, von denen, die nicht sowieso völlig spastisch oder zurückgeblieben waren… gütiger Gott, du hättest ihn auf dem Tennisplatz sehen sollen, wir haben Witze darüber gemacht, dass er, wenn er an den Paralympics teilnehmen würde, alle Wettbewerbe gewinnen würde. Trotzdem hatte er weiß Gott genug Stunden auf dem Boot abgedient– es schien klug, einen zusätzlichen Mann an Bord zu haben, mit Daddy so unter Normalform, verstehst du? Wir hätten das Boot problemlos im Griff gehabt– ich meine, alles war gut, alles wäre bestens gewesen, nur dass ich den Himmel nicht so im Blick behalten habe, wie ich es hätte tun sollen, der Wind frischte auf, wir versuchten, das Hauptsegel zu reffen, und Daddy ruderte mit den Armen und brabbelte irgendwas über die leeren Räume zwischen den Sternen, wirklich komplett verrücktes Zeug, und auf einer Welle verlor er das Gleichgewicht und ging über Bord. Wir haben versucht, ihn wieder an Deck zu zerren, Andy und ich– und dann haben wir eine Breitseite im verkehrten Winkel bekommen, eine Riesenwelle, einer dieser steil aufragenden Kaventsmänner, die aus dem Nichts auftauchen und dich frontal erwischen, und rumms, waren wir gekentert. Nicht, dass die Luft übermäßig kalt gewesen wäre, aber zwölf Grad Wassertemperatur reichen für eine Unterkühlung, wenn man sich lange genug darin aufhält, was wir leider getan haben, und ich meine, Daddy, er schwebte irgendwo in der Stratosphäre… «
    Unsere pummelige Collegestudentin-Kellnerin tauchte hinter Platt auf, um zu fragen, ob wir noch etwas bestellen wollten– ich sah sie, schüttelte leicht den Kopf und verscheuchte sie mit einem Blick.
    » Es war die Unterkühlung, die Daddy am Ende erwischt hat. Er war so dünn geworden, null Körperfett, eineinhalb Stunden bei den Temperaturen im Wasser haben gereicht. Der Körper gibt die Wärme viel schneller ab, wenn man nicht vollkommen still hält. Andy… « Platt schien zu ahnen, dass die Kellnerin in der Nähe war, drehte sich um und hielt zwei Finger hoch, noch mal das Gleiche. » Na ja, Andys Jacke hat man, noch mit der Leine am Boot befestigt, im Wasser gefunden. «
    » O Gott. «
    » Sie muss sich über seinem Kopf gespannt haben, als er über Bord ging. Es gibt einen Gurt um den Unterleib– ein bisschen unbequem, niemand trägt ihn gerne– jedenfalls war das Andys Jacke, noch mit Schäkeln am Rettungsseil befestigt, aber offenbar nicht richtig eingehakt, der kleine Scheißer. Also, mal ehrlich « , er hob die Stimme, » absolut typisch. Verstehst du? Hat sich nicht die Mühe gemacht, das Ding ordentlich festzuzurren? Er war immer so ein gottverdammter Trottel… «
    Nervös blickte ich zu der Kellnerin, weil mir bewusst war, wie laut Platt geworden war.
    » Gott. « Platt stieß sich sehr plötzlich vom Tisch ab. » Ich war immer so gemein zu Andy. Ein totales Arschloch. «
    » Platt. « Ich wollte sagen, nein, warst du nicht, aber es stimmte.
    Er blickte kopfschüttelnd zu mir auf. » Ich meine, mein Gott. « Seine Augen wirkten ausgebrannt und leer wie die der Hubschrauberpiloten in diesem Computerspiel ( AirCav II : Cambodian Invasion ), das Andy und ich gerne gespielt hatten. » Wenn ich an manche Sachen denke, die ich ihm angetan habe. Das verzeihe ich mir nie, niemals. «
    » Wow « , sagte ich nach einer Weile und blickte auf Platts grobschlächtige Hände, die auf dem Tisch lagen– Hände, die nach all den Jahren immer noch brutal wirkten und einen Rest alter Grausamkeit ausstrahlten. Obwohl wir in der Schule beide unseren Anteil an Schikanen ertragen hatten, hatte Platts Niedertracht Andy gegenüber– einfallsreich,

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