Der Distelfink
sehen wundervoll aus « , fügte ich pflichtschuldig hinzu, obwohl das nicht stimmte.
» Und du erst! « Sie legte beide Hände über meine. » Wie stattlich du bist! Ich bin recht überwältigt. « Sie sah sowohl älter als auch jünger aus, als ich sie in Erinnerung hatte: sehr blass, kein Lippenstift, Fältchen in den Augenwinkeln, doch die Haut immer noch weiß und glatt. Ihr silberblondes Haar (war es schon immer so silbern gewesen, oder war sie ergraut) fiel offen und ungekämmt auf ihre Schultern, sie trug eine Lesebrille und ein seidenes Bettjäckchen mit einer großen Diamantbrosche in Form einer Schneeflocke.
» Und hier findest du mich, in meinem Bett mit Näharbeiten beschäftigt wie eine alte Seemannswitwe « , sagte sie und wies auf ein halb fertiges Sticktuch. Zwei winzige Hunde– Yorkshire-Terrier– schliefen auf einem blassen Kaschmirüberwurf am Fußende, und als der kleinere der beiden mich sah, sprang er auf und fing wütend an zu bellen.
Ich lächelte unsicher, während sie versuchte, ihn zu beruhigen– der andere Hund machte inzwischen ebenfalls einen Riesenradau–, und sah mich um. Das Bett war ein modernes Doppelbett, das Kopfteil mit Stoff bespannt, doch sie hatte hier hinten auch eine Menge interessanter alter Objekte herumstehen, auf die ich als Kind nicht zu achten gewusst hätte. Offensichtlich war das Zimmer die Sargassosee der Wohnung, in der aus den sorgfältig dekorierten öffentlichen Räumen verbannte Stücke angeschwemmt wurden: nicht zueinander passende Beistelltische, asiatischer Nippes, eine umwerfende Sammlung silberner Tischglocken. Ein Spieltisch aus Mahagoni, der von Weitem aussah, als könnte er von Duncan Phyfe sein, und darauf (neben billigen Cloisonné-Aschenbechern und zahllosen Untersetzern) ein ausgestopfter Kardinal, mottenzerfressen, fragil, das Gefieder zu einem Rostbraun verblasst, den Kopf scharf zur Seite gelegt, sein Auge eine staubige schwarze Perle des Grauens.
» Ruhig, Ting-a-Ling, pst, ich ertrage das nicht. Das ist Ting-a-Ling « , sagte Mrs. Barbour und hielt den zappelnden Hund hoch, » er ist der Unartige, nicht wahr, mein Kleiner, keinen Moment Ruhe, und die andere mit der rosafarbenen Schleife ist Clementine. Platt « , rief sie über das Gebell hinweg, » Platt, bringst du ihn bitte in die Küche? Mit Gästen ist er eine ziemliche Plage « , sagte sie zu mir. » Ich hätte einen Hundetrainer kommen lassen sollen… «
Während Mrs. Barbour ihre Stickerei zusammenrollte und in einen ovalen Korb packte, dessen Deckel mit Intarsien verziert war, setzte ich mich auf den Sessel neben ihrem Bett. Das Polster war fadenscheinig, doch das dezente Streifenmuster kam mir bekannt vor– ein ehemaliger Wohnzimmersessel, der ins Schlafzimmer verbannt worden war, derselbe Stuhl, auf dem meine Mutter vor vielen Jahren gesessen hatte, als sie mich nach einer Übernachtung bei den Barbours abholte. Ich strich über den Stoff. Und unvermittelt sah ich meine Mutter, wie sie aufstand, um mich zu begrüßen, in der hellgrünen Cabanjacke, die sie an dem Tag getragen hatte– schick genug, dass sie auf der Straße dauernd gefragt wurde, wo sie sie gekauft hatte, aber ganz verkehrt im Haus der Barbours.
» Theo? « , fragte Mrs. Barbour. » Möchtest du etwas trinken? Eine Tasse Tee? Oder etwas Stärkeres? «
» Nein danke. «
Sie klopfte auf die Tagesdecke aus Brokat auf dem Bett. » Komm, setz dich zu mir. Bitte. Ich möchte dich sehen können. «
» Ich… « Bei ihrem gleichzeitig vertraulichen wie förmlichen Tonfall überfiel mich eine schreckliche Traurigkeit, und als wir uns ansahen, schien es, als würde die gesamte Vergangenheit durch diesen Moment neu definiert und in den Fokus gerückt, glasklar, eine vielschichtige Bewegungslosigkeit aus verregneten Frühlingsnachmittagen, einem dunklen Stuhl im Flur und ihrer Hand auf meinem Hinterkopf, leicht wie Luft.
» Ich bin so froh, dass du gekommen bist. «
» Mrs. Barbour « , sagte ich, trat ans Bett und nahm behutsam auf einer Pobacke Platz, » mein Gott. Ich kann es nicht glauben. Ich habe es gerade eben erst erfahren. Es tut mir so leid. «
Sie presste die Lippen aufeinander wie ein Kind, das versucht, nicht zu weinen. » Ja « , sagte sie, » nun « , und über uns senkte sich ein furchtbares und anscheinend nicht zu brechendes Schweigen.
» Es tut mir so leid « , wiederholte ich drängender, bewusst, wie unbeholfen ich mich anhörte, als könnte ich die Heftigkeit meiner Trauer durch
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