Der Distelfink
Lautstärke vermitteln.
Sie blinzelte unglücklich, und weil ich nicht wusste, was ich tun sollte, legte ich meine Hand auf ihre, und so saßen wir unbehaglich lange da.
Am Ende war sie es, die zuerst sprach. » Wie dem auch sei. « Entschlossen tupfte sie eine Träne aus dem Augenwinkel, während ich fieberhaft nach Worten suchte. » Er hatte dich keine drei Tage vor seinem Tod noch erwähnt. Er war verlobt und wollte heiraten. Ein japanisches Mädchen. «
» Im Ernst? Wirklich? « So traurig ich war, musste ich unwillkürlich ein wenig lächeln: Andy hatte Japanisch als erste Fremdsprache gewählt, weil er so ein Faible für Fanservice- Miko und nuttige Manga-Girls in Matrosenuniform hatte. » Eine Japanerin aus Japan? «
» In der Tat. Ein winziges Ding mit Piepsstimme und einer Handtasche in Form eines Stofftiers. O ja, ich habe sie kennengelernt « , sagte sie mit hochgezogener Braue. » Andy hat bei Tee und Sandwiches im Pierre übersetzt. Sie war natürlich auch auf der Beerdigung– das Mädchen– Miyako hieß sie– nun ja. Andere Kulturen und so weiter, aber es stimmt, was man über die Reserviertheit der Japaner sagt. «
Der kleine Hund, Clementine, hatte sich wie ein Pelzkragen um Mrs. Barbours Schulter geschmiegt. » Ich muss gestehen, ich überlege, ob ich mir einen dritten anschaffen soll « , sagte sie und streichelte das Tier. » Was meinst du? «
» Ich weiß nicht « , sagte ich verwirrt. Es war äußerst untypisch für Mrs. Barbour, überhaupt jemanden zu irgendeinem Thema um seine Meinung zu bitten, und schon gar nicht mich.
» Ich muss sagen, sie waren mir ein großer Trost, die beiden. Meine alte Freundin Maria Mercedes de la Pereyra tauchte eine Woche nach der Beerdigung mit ihnen hier auf, ziemlich unerwartet, zwei Welpen in einem Korb mit Schleifchen, und anfangs war ich mir zugegebenermaßen nicht sicher, aber ich glaube tatsächlich, dass ich noch nie ein so aufmerksames Geschenk bekommen habe. Vorher konnten wir nie Hunde halten wegen Andy. Er war so schrecklich allergisch. Erinnerst du dich? «
» Ja. «
Platt– immer noch in seiner Wildhüterjacke aus Tweed mit großen ausgebeulten Taschen für tote Vögel und Schrotflintenhülsen– war wieder hereingekommen. Er zog sich einen Stuhl ans Bett. » Und, Mommy? « Er biss sich auf die Unterlippe.
» Und, Platypus. « Ein förmliches Schweigen. » Guter Tag bei der Arbeit? «
» Großartig. « Er nickte, als wolle er sich dessen selber nochmals versichern. » Ja. Wirklich sehr viel zu tun. «
» Das freut mich zu hören. «
» Neue Bücher. Eins über den Wiener Kongress. «
» Noch eins? « Sie wandte sich mir zu. » Und du, Theo? «
» Verzeihung? « Ich hatte die Einlegearbeit (ein Walfänger) im Deckel ihres Nähkorbs betrachtet und an den armen Andy gedacht: schwarzes Wasser, Salz in der Kehle, Übelkeit und Strampeln. Das Grauen und die Gemeinheit, ausgerechnet in dem Element zu sterben, das er am meisten hasste. Das Problem besteht im Wesentlichen darin, dass ich Boote nicht ausstehen kann.
» Erzähl mir, was fängst du dieser Tage mit dir selbst an? «
» Ähm, ich handele mit Antiquitäten. Vor allem amerikanische Möbel. «
» Nein! « Sie war entzückt. » Wie absolut perfekt! «
» Ja– unten im Village. Ich führe den Laden und kümmere mich um die Verkäufe. Mein Geschäftspartner « , es war immer noch neu und ungewohnt, es laut auszusprechen, » mein Geschäftspartner James Hobart, er ist der Kunsthandwerker, der sich um die Restaurierung der Objekte kümmert. Sie sollten irgendwann mal vorbeikommen. «
» Oh, herrlich. Antiquitäten! « Sie seufzte. » Also– du weißt, ich liebe alte Dinge. Ich wünschte, eins meiner Kinder hätte Interesse gezeigt. Ich hatte immer gehofft, wenigstens einer würde sich dafür begeistern. «
» Nun, es gibt ja immer noch Kitsey « , sagte Platt.
» Es ist seltsam « , fuhr Mrs. Barbour fort, als hätte sie ihn gar nicht gehört. » Nicht eins meiner Kinder hat auch nur den Hauch einer künstlerischen Ader. Ist das nicht außergewöhnlich? Kleine Philister, alle vier. «
» O bitte « , sagte ich in möglichst spielerischem Ton. » Ich erinnere mich an Toddy und Kitsey und all die Klavierstunden. Und Andy mit seiner Suzuki-Geige. «
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. » Du weißt, was ich meine. Keins meiner Kinder hat irgendeinen Sinn fürs Visuelle. Nicht die geringste Aufmerksamkeit oder Wertschätzung für Gemälde, Einrichtung und dergleichen.
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