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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Es war eine Topaskette, achtzehntes Jahrhundert, eine Kette für eine Feenkönigin, Girandôle mit Diamantschleife und großen, klaren, honigbraunen Steinen in der Farbe ihrer Augen. Als ich mich umdrehte, ohne einen Blick auf die Wand mit ihren Fotos gegenüber zu werfen, und die Treppe hinunterlief, erfüllte mich fast so etwas wie die alte kindliche Mischung aus Panik und Begeisterung nach einem Steinwurf in eine Fensterscheibe. Hobie würde genau wissen, wie viel diese Kette gekostet hatte. Aber wenn Pippa sie und den Zettel fände, wäre ich längst weg.
    III
    Wir flogen von verschiedenen Terminals ab, also verabschiedeten wir uns vor dem Gebäude, wo Anatoli mich absetzte. Die Glastür glitt mit atemlosem Seufzen auf. Drinnen, hinter der Sicherheitskontrolle, auf dem glänzenden Boden der nächtlichen Abflughalle, warf ich einen Blick auf die Anzeigetafel und ging an dunklen Geschäften mit herabgelassenen Metallgittern entlang: Brookstone, Tie Rack, Nathan’s Hot Dogs. Fröhliche Siebziger-Jahre-Musik wehte in mein Bewusstsein ( love … love will keep us together … think of me babe whenever … ), vorbei an kalten Geister-Gates, mit Seilen abgesperrt und leer bis auf ein paar College-Kids, die der Länge nach über vier Sitze ausgestreckt lagen und dösten, vorbei an der einsamen Bar, die noch offen war, an dem einsamen Yoghurt-Stand, dem einsamen Duty Free, in dem ich, wie Boris mir wiederholt und einigermaßen eindringlich geraten hatte, noch eine Flasche Wodka kaufte ( » sicher ist sicher… vielleicht nimmst du auch zwei « ), und dann weiter, ganz bis zum Ende und zu meinem eigenen (überfüllten) Gate: fremdländische Familien mit toten Augen, Rucksacktouristen, die im Schneidersitz auf dem Boden saßen, lustlos wirkende Geschäftsleute mit ölig glänzenden Gesichtern und Laptops, die aussahen, als wären sie das alles gewohnt.
    Das Flugzeug war voll. Als ich an Bord schlurfte, im Gedränge im Gang (Economy, Mittelplatz in einer Fünferreihe), fragte ich mich, wie Myriam es überhaupt noch geschafft hatte, mir einen Platz zu besorgen. Zum Glück war ich zu müde, um mir über etwas anderes den Kopf zu zerbrechen, und ich war eingeschlafen, bevor die Anschnallzeichen erloschen– verpasste die Drinks, verpasste das Essen, verpasste den Film–, und ich wachte erst auf, als die Blenden an den Fenstern hochgeschoben wurden und das Licht in die Kabine flutete und die Stewardess ihren Wagen mit den vorgepackten Frühstückstabletts vorbeischob: eiskalte Weintrauben, ein Becher eiskalter Saft, ein fettiges, eigelbfarbenes, in Zellophan gewickeltes Croissant und Kaffee oder Tee nach Wahl.
    Wir hatten verabredet, uns in der Gepäckhalle zu treffen. Geschäftsleute zerrten stumm ihre Koffer vom Band und flüchteten– zu ihren Meetings, ihren Marketingkonferenzen, ihren Geliebten, wer konnte das genau sagen? Laut schreiende Kiffer-Kids mit Regenbogenflicken auf den Rucksäcken rempelten einander an, versuchten, Reisetaschen vom Band zu nehmen, die nicht ihnen gehörten, und diskutierten darüber, welches der beste Coffeeshop für den morgendlichen Joint wäre– » oh, Leute, das Bluebird, unbedingt … «
    » … nein, wartet mal– Haarlemmerstraat? nein, echt, ich hab’s mir aufgeschrieben. Auf dem Zettel hier? nein, wartet, hört zu, Leute, wir sollten direkt hinfahren, ich weiß den Namen nicht mehr, aber sie machen früh auf, und sie haben ein irres Frühstück? Und man kriegt Pfannkuchen und O-Saft und Apollo13 und Vapes direkt an den Tisch gebracht? «
    So trabten sie davon– fünfzehn oder zwanzig Leute, sorglos, mit glänzenden Haaren–, sie lachten, setzten ihre Rucksäcke auf und stritten sich über den billigsten Weg in die Stadt. Ich hatte kein Gepäck aufgegeben, stand aber mehr als eine Stunde lag in der Halle und sah zu, wie ein dick mit Klebstreifen umwickelter Koffer einsam und verloren im Kreis herumfuhr, bis Boris von hinten herankam und mich begrüßte, indem er mir den Arm in einem Würgegriff um den Hals schlang und versuchte, mir auf die Hacken zu steigen.
    » Komm « , sagte er, » du siehst schlecht aus. Lass uns was essen und reden! Juri hat den Wagen draußen. «
    IV
    Was ich irgendwie nicht erwartet hatte, war eine weihnachtlich aufgetakelte Stadt: Tannenzweige, Lametta, Sternenschmuck in den Schaufenstern, ein steifer Wind in den Grachten, Feuer, Weihnachtsmarktstände und Leute auf Fahrrädern, Spielsachen und Farben und Süßigkeiten, Festtagsgewimmel und Glanz. Kleine

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