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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Halskette, egal, aber der Zettel, den du Pippa hinterlassen hast, las sich so merkwürdig, sie hat sich genauso große Sorgen gemacht wie ich… «
    » Wirklich? «
    » Natürlich! « Er schleuderte einen Arm in die Höhe und brüllte fast. » Was sollten wir denn denken? Und dann dieser schreckliche Besuch von Reeve. Ich war gerade dabei, einen Pastetenteig anzurühren– hätte gar nicht zur Tür gehen sollen, aber ich dachte, es wäre Moira– neun Uhr morgens, und ich stehe da, von oben bis unten voller Mehl, und glotze ihn an… Theo, warum hast du das getan? « , fragte er verzweifelt.
    Ich wusste nicht, was er meinte– ich hatte so viel getan, und deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als den Kopf zu schütteln und wegzuschauen.
    » Es war so ungeheuerlich– wie sollte ich das glauben? Tatsächlich habe ich es nicht geglaubt. Denn ich verstehe « , fuhr er fort, als ich schwieg, » hör zu, ich verstehe das mit den Möbeln, du hast getan, was du tun musstest, und glaub mir, ich bin dankbar, denn wenn du nicht gewesen wärest, würde ich jetzt irgendwo als Angestellter arbeiten und in einem miesen Wohnschlafzimmer leben. Aber « , er bohrte die Fäuste in die Taschen seines Bademantels, » dieser ganze andere Quatsch? Offenbar muss ich mich da doch fragen, was du mit alldem zu tun hast. Zumal da du fast ohne ein Wort Reißaus genommen hast, mit deinem Freund, der– ich sag’s ungern, er ist ein bezaubernder Junge, aber er sieht aus, als habe er schon die eine oder andere Zelle von innen gesehen… «
    » Hobie… «
    » Oh, Reeve. Du hättest ihn hören sollen. « Es war, als habe alle Energie ihn verlassen. Schlaff und resigniert sah er aus. » Diese alte Schlange. Und– ich will, dass du es weißt, was das betrifft– Kunstdiebstahl? Ich habe dich sehr entschieden verteidigt. Was immer du sonst getan haben mochtest, aber das nicht, da war ich sicher. Und dann? Keine drei Tage später? Was kommt plötzlich in den Nachrichten? Ausgerechnet welches Bild? Zusammen mit vielen anderen? Hatte er die Wahrheit gesagt? « , fragte er, als ich immer noch nicht antwortete. » Warst du das? «
    » Ja. Das heißt, ich meine, formal gesehen, nein. «
    » Theo. «
    » Ich kann es erklären. «
    » Dann tu’s, bitte. « Er rieb sich mit dem Handballen das Auge.
    » Setz dich hin. «
    » Ich… « Verzweifelt blickte er sich um, als fürchtete er, seine ganze Entschlossenheit zu verlieren, wenn er sich mit mir an einen Tisch setzte.
    » Nein, du solltest dich wirklich hinsetzen. Es ist eine lange Geschichte. Ich mache es so kurz, wie ich kann. «
    VII
    Er sagte kein Wort. Er ging nicht mal ans Telefon, als es klingelte. Ich war müde bis auf die Knochen und zerschlagen nach dem Flug, und auch wenn ich die beiden Toten umschiffte, berichtete ich ihm über den ganzen Rest, so gut ich konnte: in kurzen Sätzen, sachlich, ohne den Versuch einer Rechtfertigung oder Erklärung. Als ich fertig war,saß er einfach da. Ich war entnervt von seinem Schweigen, und in der Küche war es still bis auf das eintönige Brummen des Kühlschranks. Aber endlich lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme.
    » Manchmal nimmt alles wirklich einen seltsamen Lauf, nicht wahr? « , sagte er.
    Ich schwieg, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
    » Ich meine nur « , er rieb sich ein Auge, » ich verstehe es erst, seit ich älter werde. Wie komisch die Zeit ist. Wie viele Tricks und Überraschungen sie bereithält. «
    Das Wort Tricks war alles, was ich hörte oder verstand. Abrupt stand er auf– richtete sich zu seiner vollen Größe von eins achtzig auf, und in seiner Haltung war etwas Strenges, Bedauerndes, so kam es mir jedenfalls vor: der Ahnengeist des Streifenpolizisten, vielleicht aber auch ein Rausschmeißer, der einen gleich aus dem Pub werfen würde.
    » Ich werde gehen « , sagte ich.
    Er schloss für einen Moment die Augen. » Was? «
    » Ich schreibe dir einen Scheck über die ganze Summe. Halte ihn fest, bis ich dir sage, du kannst ihn einlösen, mehr verlange ich nicht. Ich habe dir nie schaden wollen, das schwöre ich. «
    Mit einer armlangen Gebärde aus alten Zeiten wischte er meine Worte zur Seite. » Nein, nein. Warte hier. Ich will dir etwas zeigen. «
    Er stand auf und verschwand knarrend im Salon. Dort blieb er eine Weile, und als er zurückkam, brachte er ein Fotoalbum mit, das fast auseinanderfiel. Er setzte sich, blätterte darin herum, und als er die Seite gefunden hatte, die er suchte, schob er es über

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