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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Kopf hob, sah ich an seinem silbrigen Bart und seinen vom Star getrübten Augen, dass er sehr alt war.
    » Ich dachte, du hättest geschlafen, Täubchen. « Hobie streckte die Hand aus, um dem Hund das Fell zu kraulen.
    » Das sagst du immer, aber ich bin immer wach. Hi. « Sie schaute zu mir auf.
    » Hi. «
    » Wer bist du? «
    » Ich heiße Theo. «
    » Was ist dein liebstes Musikstück? «
    » Ich weiß nicht. « Um nicht den Eindruck zu erwecken, ich sei bescheuert, fügte ich hinzu: » Beethoven. «
    » Das ist toll. Du siehst aus wie jemand, der Beethoven mag. «
    » Wirklich? « Ich war überwältigt.
    » Das war nett gemeint. Ich kann keine Musik hören. Wegen meinem Kopf. Es ist absolut grässlich. Nein « , sagte sie zu Hobie, der angefangen hatte, Bücher und Verbandmaterial und Kleenex-Packungen von dem Stuhl neben dem Bett abzuräumen, » lass ihn hier sitzen. Du kannst hier sitzen. « Sie rutschte im Bett ein kleines Stück zur Seite, um mir Platz zu machen.
    Ich warf einen Blick zu Hobie, um sicherzugehen, dass es in Ordnung war, und dann setzte ich mich behutsam und mit nur einer Hüfte auf die Bettkante. Ich achtete darauf, den Hund nicht zu stören, und der hob den Kopf und funkelte mich an.
    » Keine Sorge, er beißt nicht. Na ja, manchmal beißt er doch. « Sie sah mich mit schlaftrunkenen Augen an. » Ich kenne dich. «
    » Du erinnerst dich an mich? «
    » Sind wir Freunde? «
    » Ja « , sagte ich, ohne nachzudenken, und dann sah ich Hobie an und war verlegen, weil ich gelogen hatte.
    » Ich hab deinen Namen vergessen, tut mir leid. Aber ich erinnere mich an dein Gesicht. « Sie streichelte den Kopf des Hundes. » Ich konnte mich nicht an mein Zimmer erinnern, als ich nach Hause kam. An mein Bett schon und an meine ganzen Sachen, aber das Zimmer war anders. «
    Inzwischen hatten meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt, und ich konnte den Rollstuhl in der Ecke sehen, die Medizinfläschchen auf dem Tisch neben ihrem Bett.
    » Was gefällt dir denn von Beethoven? «
    » Äh… « Ich starrte ihren Arm an, der auf der Bettdecke lag. Auf der zarten Haut der Ellenbeuge klebte ein Pflaster.
    Sie stemmte sich im Bett hoch und schaute an mir vorbei zu Hobie, dessen Silhouette in der erleuchteten Tür stand. » Ich soll nicht so viel reden, nicht? «
    » Nein, Täubchen. «
    » Ich glaube nicht, dass ich zu müde bin. Aber ich kann es nicht sagen. Wirst du im Laufe des Tages müde? « , fragte sie mich.
    » Manchmal. « Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich die Neigung entwickelt, im Unterricht einzuschlafen und nach der Schule im Andys Zimmer zu pennen. » Früher nie. «
    » Ich auch. Ich bin jetzt dauernd schläfrig. Warum wohl? Ich finde es so langweilig. «
    Als ich einen Blick zurück zur hellen Tür warf, sah ich, dass Hobie für einen Augenblick verschwunden war. Es war zwar überhaupt nicht meine Art, aber aus irgendeinem seltsamen Grund juckte es mich, ihre Hand zu nehmen, und als wir jetzt allein waren, tat ich es.
    » Du hast doch nichts dagegen, oder? « , fragte ich sie. Alles kam mir sehr langsam vor, als bewegte ich mich in tiefem Wasser. Es war ein seltsames Gefühl, jemandes Hand zu halten– die Hand eines Mädchens–, und zugleich war es merkwürdig normal. Ich hatte so etwas noch nie getan.
    » Überhaupt nicht. Ich finde es schön.« Nach einer kurzen Pause, in der ich den kleinen Terrier schnarchen hörte, sagte sie: » Du hast nichts dagegen, wenn ich für ein paar Sekunden die Augen zumache, oder? «
    » Nein. « Ich strich mit dem Daumen über ihre Fingerknöchel und folgte den Konturen der Knochen.
    » Ich weiß, es ist unhöflich, aber es muss einfach sein. «
    Ich schaute hinunter auf ihre überschatteten Lider, die rauen Lippen, die Blässe und die Blutergüsse, den hässlichen Winkel aus Metall über dem einen Ohr. Die seltsame Kombination aus dem, was aufregend an ihr war, und dem, was es nicht sein sollte, machte mich schwindlig und verwirrt.
    Schuldbewusst drehte ich mich um und sah Hobie in der Tür. Auf Zehenspitzen ging ich hinaus in den Flur und schloss die Tür leise hinter mir, dankbar für die Dunkelheit auf dem Flur.
    Zusammen gingen wir zurück in den Salon. » Wie kommt sie dir vor? « , fragte er so leise, dass ich es kaum hörte.
    Was sollte ich darauf antworten? » Okay, schätze ich. «
    » Sie ist nicht sie selbst « , sagte er unglücklich und vergrub die Hände tief in den Taschen seines Hausmantels. » Das heißt– sie ist es, und sie ist es nicht.

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