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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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glaube, der war so was wie ein Fetischist. Dieser ganze Kerkerquatsch mit den Mädchen, die auf die Labortische geschnallt waren, das war einwandfrei Bondage-Porno. Erinnerst du dich, wie er sie angefleht hat, die Vampirzähne anzuprobieren? «
    » Ja. Da ist sie dann zu dem Wachmann gegangen. «
    » Diese Lederhose. Und die ganzen Piercings. Ich meine, wer weiß, vielleicht wollte er ja wirklich einen Vampirfilm drehen, aber er war eindeutig total pervers, ist dir das aufgefallen? Zum Beispiel dieses verschlagene Lächeln? Und wie er immer versucht hat, in ihren Ausschnitt zu linsen? «
    Ich zeigte ihm den Finger. » Jetzt komm, lass uns gehen « , sagte ich. » Ich hab Hunger. «
    » Ach ja? « Ich hatte neun oder zehn Pfund abgenommen, seit meine Mutter gestorben war– so viel, dass Mrs. Swanson (peinlicherweise) angefangen hatte, mich in ihrem Büro zu wiegen, und zwar auf der Waage, die sie für Mädchen mit Essstörungen benutzte.
    » Was denn, du nicht? «
    » Doch, aber ich dachte, du achtest auf dein Gewicht. Damit du in dein Kleidchen für den Schulball passt. «
    » Leck mich am Arsch « , sagte ich freundlich und öffnete die Tür– und prallte geradewegs gegen Mr. Barbour, der genau davor stand. Ob er gelauscht hatte oder nur anklopfen wollte, war schwer zu sagen.
    Zu Tode beschämt fing ich an zu stammeln– schmutzige Reden waren ein ernsthafter Verstoß gegen die Regeln im Hause Barbour–, aber Mr. Barbour schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein.
    » Na, Theo « , sagte er trocken und schaute über meinen Kopf hinweg, » es freut mich sehr zu hören, dass es dir besser geht. Jetzt kommt, damit wir noch einen Tisch bekommen. «
    IV
    Im Laufe der nächsten Woche bemerkten alle, dass mein Appetit sich gebessert hatte, sogar Toddy. » Hast du deinen Hungerstreik abgebrochen? « , fragte er mich eines Morgens neugierig.
    » Toddy, iss dein Frühstück. «
    » Aber ich dachte, das heißt so. Wenn jemand nicht essen will. «
    » Nein, ein Hungerstreik ist etwas für die Leute im Gefängnis « , sagte Kitsey kühl.
    » Kitty « , ermahnte Mr. Barbour sie.
    » Ja, aber er hat gestern drei Waffeln gegessen. « Toddy blickte eifrig zwischen seinen beiden desinteressierten Eltern hin und her und versuchte, sie ins Gespräch zu ziehen. » Ich nur zwei. Und heute Morgen hat er eine Schale Frühstücksflocken und sechs Streifen Speck gegessen, und ihr habt gesagt, fünf sind zu viel für mich. Wieso darf ich keine fünf Streifen essen? «
    V
    » Ja, hallo, ich grüße dich « , sagte Dave, der Psychiater, während er dieTür schloss und sich mir gegenüber in seinem Büro hinsetzte: Kelim-Teppiche, Regale mit alten Lehrbüchern ( Drogen und Gesellschaft, Kinderpsychologie: Ein neuer Ansatz ) und beigefarbene Vorhänge, die sich summend öffneten, wenn man auf einen Knopf drückte.
    Ich lächelte unbeholfen, und mein Blick wanderte im ganzen Zimmer herum, zur Topfpalme, zur bronzenen Buddhastatue, überallhin, nur nicht zu ihm.
    » So. « Das leise Rauschen des Verkehrs, das von der First Avenue zu uns heraufwehte, ließ die Stille zwischen uns grenzenlos, ja, intergalaktisch erscheinen. » Wie geht’s denn heute? «
    » Na ja… « Mir graute vor meinen Sitzungen mit Dave, einer zweimal wöchentlich stattfindenden Strapaze, durchaus vergleichbar mit einer zahnchirurgischen Behandlung. Ich hatte Gewissensbisse, weil ich ihn nicht ein bisschen mehr mochte, obwohl er sich solche Mühe gab und mich immer fragte, welche Filme und welche Bücher ich gern hatte, mir CD s brannte und Artikel aus Game Pro ausschnitt, von denen er dachte, sie könnten mich interessieren. Manchmal ging er sogar mit mir hinüber in EJ ’s Luncheonette und spendierte einen Hamburger, aber immer wenn er mit seinen Fragen anfing, erstarrte ich, als habe man mich auf eine Bühne geschoben, wo ich in einem Stück spielen sollte, dessen Text ich nicht kannte.
    » Du bist heute anscheinend ein bisschen abgelenkt. «
    » Äh… « Es war mir nicht entgangen, dass mehrere Bücher in Daves Regalen das Wort Sex im Titel führten: Adoleszente Sexualität, Sex und Kognition, Muster der sexuellen Abweichung und– mein Lieblingstitel– Der Weg aus dem Schatten: Sexuelle Sucht verstehen. » Mir geht’s gut, glaube ich. «
    » Glaubst du? «
    » Nein, mir geht’s gut. Alles läuft prima. «
    » Ach ja? « Dave lehnte sich im Sessel zurück und ließ den Converse-Turnschuh wippen. » Toll. « Dann: » Erzähl mir doch ein bisschen, wie alles so

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