Der Doktor und das liebe Vieh
Hand über seine Halsmuskeln strich, über die glatte, zitternde Flanke und dann den Bauch entlang, bis ich die Geschwulst zu packen bekam. Ich hatte sie jetzt in der Hand und zog sie sanft nach unten, reckte die braune Haut, die die Geschwulst mit dem Körper verband. Hier wollte ich das Betäubungsmittel injizieren. Es würde schon nicht so schlimm werden. Der Hengst legte die Ohren an und wieherte warnend.
Ich holte tief Luft, hob meine rechte Hand mit der Spritze, setzte die Nadel gegen die Haut und stieß zu.
Der Schlag kam prompt und traf mich mit voller Wucht. Zunächst empfand ich eigentlich nur Staunen, daß ein so riesiges Tier sich so flink bewegen konnte. Es war ein blitzschneller Schlag nach außen, den ich nicht einmal gesehen hatte; der Huf traf die Innenseite meines rechten Oberschenkels. Als ich auf dem Boden landete, fühlte ich mich merkwürdig benommen. Trotzdem wollte ich mich aufrichten, aber ein stechender Schmerz durchzuckte mein Bein.
Als ich die Augen öffnete, stand Mr. Wilkinson über mich gebeugt. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Mr. Herriot?« Seine Stimme klang besorgt.
»Ich glaube, nicht.« Ich wunderte mich, daß ich so ruhig und sachlich sprechen konnte. »Es wird wohl das beste sein, Mr. Wilkinson, wenn Sie das Pferd zurück in seine Box bringen. Wir werden die Operation ein paar Tage verschieben. Könnten Sie bitte Mr. Farnon anrufen, damit er herkommt und mich abholt? Ich fürchte, ich kann nicht fahren.«
Mein Bein war zwar nicht gebrochen, aber ein starker Bluterguß an der Stoßstelle bewirkte, daß sich der ganze Oberschenkel mit einer Skala von Farben – vom zartesten Orange bis zum tiefsten Schwarz – überzog und ich noch immer wie ein Veteran aus dem Krimkrieg humpelte, als Siegfried und ich vierzehn Tage später mit einer kleinen Schar von Helfern zurückkehrten, den Hengst fesselten, ihn chloroformierten und das Gewächs entfernten.
Ich habe zur Erinnerung an diesen Tag eine Narbe am Oberschenkel zurückbehalten, aber der Vorfall hatte auch etwas Gutes. Ich erkannte, daß die Angst schlimmer ist als die Wirklichkeit, und seither hat es mir nichts mehr ausgemacht, Pferde zu behandeln.
Kapitel 14
Das erste Mal sah ich Phin Calvert auf der Straße, als ich mich gerade mit Brigadier Julian Couts-Browne über seine Jagdhunde unterhielt. Der Brigadier war fast eine Bühnenversion des englischen Aristokraten. Sehr groß, ein wenig vorgebeugt, mit einem Habichtgesicht und einer hohen, näselnden Stimme. Während er sprach, stieg der Rauch einer dünnen Zigarre von seinen Lippen auf.
Ich wandte den Kopf, als ich schwere Schritte hörte. Ein untersetzter Mann kam auf uns zugestapft, die Hände unter die Hosenträger geschoben, die schäbige Jacke weit offen, so daß die gewölbte Fläche eines kragenlosen Hemds sichtbar wurde. Graue Haarsträhnen hingen wie Fransen unter einer schmierigen Mütze. Er lächelte strahlend vor sich hin und summte ein Liedchen.
Der Brigadier streifte ihn mit einem kalten Blick und brummte: »Morgen, Calvert.«
Phineas hob den Kopf. »Na, Charlie, wie geht’s denn so?« brüllte er.
Der Brigadier machte ein Gesicht, als hätte er versehentlich Essig getrunken. Er nahm die Zigarre mit zitternder Hand aus dem Mund und starrte dem Mann nach. »Unverschämter Kerl«, murmelte er.
Wenn man Phin so sah, hätte man ihn niemals für einen wohlhabenden Bauern gehalten. Eine Woche später wurde ich zu seinem Hof gerufen und fand zu meiner Überraschung ein stattliches Haus mit Wirtschaftsgebäuden vor. Auf den Feldern graste eine Herde schöner Milchkühe.
Ich hörte ihn schon, bevor ich aus dem Wagen stieg.
»Hallo, hallo! Wen haben wir denn da? Ein neuer Bursche, wie? Jetzt werden wir wohl was lernen!« Er hatte die Hände wieder unter die Hosenträger geschoben und grinste breit.
»Ich heiße Herriot«, sagte ich.
»Wirklich?« Phin betrachtete mich prüfend und wandte sich dann an die drei jungen Männer, die hinter ihm standen. »Hat er nicht ein nettes Lächeln, Jungs? Eine richtige Frohnatur.« Er führte mich über den Hof. »Kommen Sie, ich hoffe, Sie verstehen ein bißchen was von Kälbern, denn ich habe ein paar, die sind etwas komisch.«
Als wir den Kälberstall betraten, wünschte ich insgeheim, daß es mir gelänge, etwas zu tun, was Eindruck machte – vielleicht konnte ich einige der neuen Medikamente und Seren anwenden, die ich im Auto hatte; es mußte schon etwas Besonderes sein, wenn ich den Leuten hier imponieren
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