Der Domino-Killer
Straßenrand. Auf dem Fahrersitz ein junger Mann, der unsere Ankunft beobachtete. Mir war klar, dass hinten im Van mindestens ein weiterer Polizist saß und das Geschehen über Monitor verfolgte. Ich spähte hinüber zur Vordertür unseres Hauses und bemerkte eine neue Überwachungskamera, eine Halbkugel, die direkt über dem Türrahmen befestigt war. Ich hoffte, dass diese Polizisten Erfahrung mit richtig bösen Jungs hatten, für den Fall, dass JPP auftauchte, um mich zu holen.
Außer natürlich, er war tot oder verletzt und würde sich gar nicht mehr blicken lassen.
Oder er war am Leben und kerngesund und hatte sich ein anderes Opfer aus meiner Familie ausgesucht. Jemanden, der nicht so gern sterben wollte, an dem ein Mord aufregender zu werden versprach.
Ich ging den langen Weg zum Haus hinauf. Meine Mutter folgte mir, zog meinen Koffer hinter sich her, was auf den unbehauenen Steinen unheimlich Lärm machte.
Wen aus meiner Familie würde er sich als Nächsten aussuchen, falls er denn noch immer irgendwo da draußen war? Mein Gehirn arbeitete verzweifelt, und meine Wunde begann zu schmerzen. Ich blieb stehen und holte Luft. Meine Mutter stützte mich.
«Alles in Ordnung, mein Liebling?»
Mom blieb besorgt an meiner Seite. Ihr kurzes rostrotes Haar war außer Fasson, was ungewöhnlich war für sie, die geschwollene Haut unter ihren Augen schimmerte bläulich. Sie war die ganze Zeit im Krankenhaus gewesen, hatte es nur verlassen, um ein paar Sachen aus meiner Wohnung in Brooklyn zu holen, und dann heute Morgen noch einmal, um hier in Montclair alles für meine Ankunft vorzubereiten.
Ich nickte. Holte noch einmal Luft. Ging langsam weiter.
Dad wartete auf der Veranda, wahrscheinlich hatte meine Mutter ihn dorthin gesetzt, damit die Polizei ihn im Auge behielt. Er saß in einem Rattansessel, seltsam still, Haar und Haut altersgrau. Meine Eltern hatten sich gleichzeitig pensionieren lassen, um ihren goldenen Herbst gemeinsam zu verbringen, nach all den Jahren der Verantwortung, die ein Familienleben mit Kindern mit sich brachte. Nun musste meine Mutter gelegentlich jemanden kommen lassen, der meinen Vater betreute, weil er aufgrund seiner Demenz immer verwirrter wurde. Sie hatte für dieses Problem noch keine endgültige Lösung gefunden, und ich bezweifelte, dass sich das bald ändern würde. Im Krankenhaus hatte sie erklärt, sie wolle sich von nun an erst einmal um mich kümmern.
Sie hatte mein altes Zimmer für mich hergerichtet: Auf dem weichen Doppelbett eine weiße Überdecke aus Chenille, über die cremefarbene Tapete galoppierten noch immer reiterlose braune Pferde, alle in dieselbe Richtung. Als Mädchen hatte ich versucht, die Pferde zu zählen, war aber nie weiter gekommen als bis fünfzig oder sechzig; nach einer Weile schienen sie zu verschwimmen, und man wusste nicht mehr, welches man schon gezählt hatte. Auf die Kommode hatte meine Mutter eine Vase Flieder aus dem Garten gestellt. Ich legte mich auf mein Bett. Als sie damit fertig war, meine Sachen auszupacken und einzuräumen, kam sie zu mir und setzte sich auf den Rand der Matratze.
«Tut es weh, wenn ich mich hier draufsetze?»
«Ein bisschen, aber bleib bitte.»
«Ich liebe dich, Karin, und wir werden das zusammen durchstehen. Das verspreche ich.»
Sie nahm eine meiner Hände in ihre. Ihre Haut fühlte sich vertraut an und makellos und weich. Ich erinnerte mich, dass ich das auch manchmal bei Cece gemacht hatte, wenn sie schlief: sie angesehen, als könnte ich nie genug von ihr bekommen, sie einfach nur geliebt.
«In ein paar Minuten kommt Jon kurz vorbei», sagte sie. «Wenn er dich im Krankenhaus besucht hat, hast du immer geschlafen, und er muss nachher noch einen Flug bekommen.»
«Ich freue mich auf ihn», sagte ich. «Ich möchte ihn sehen.» Tatsächlich fühlte ich mich von Besuch überfordert, aber Jon war mein Bruder. Wir waren uns unser ganzes Leben lang sehr nahe gewesen. Ich wollte ihn unbedingt sehen, weil ich mich dafür schämte, dass ich ihn einfach hatte im Stich lassen wollen. Schon wieder. Mein erster Selbstmordversuch hatte ihm bereits das Herz gebrochen. Ich befürchtete, dass er jetzt nur noch enttäuscht von mir war oder vielleicht sogar wütend auf mich.
Wenige Momente später kam Jon herein, mit seiner zweijährigen Tochter Susanna auf dem Arm, die ihrerseits eine Babypuppe wiegte. Ihm folgte seine Frau Andrea, im siebten Monat schwanger mit ihrem zweiten Kind, einem Sohn. Andrea war so klein und
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