Der Domino-Killer
Flyer auf den Stapel mit der Post legte, damit ich mit der freien Hand die Wohnungstür aufschließen konnte, bemerkte ich, dass jemand das Datum der Convention mit schwarzem Filzstift eingekreist hatte.
«Das ist seltsam.» Ich zeigte es Mac.
Er starrte darauf und zuckte die Schultern. «Na und?»
Ich schaute mir den schwarzen Kreis genau an: Anfang und Ende schlossen perfekt aneinander an, sodass es eine klare durchgezogene Linie ergab. «Ob den hier jemand absichtlich liegenlassen hat?»
«Bestimmt sogar, die Leute nämlich, die die Convention organisieren – die wollen dein Geld.»
«Nein, Mac, im Ernst. Denk doch mal kurz darüber nach.»
Ich schloss die Tür auf, und wir betraten meine Wohnung, in der es wie immer kühler war als draußen. Ich legte die Post auf dem kleinen Tisch unter dem Spiegel im Flur ab und nahm den Flyer noch einmal zur Hand. Mac ging direkt durch in die Küche, und ich hörte, wie er einen der Hängeschränke öffnete und wie dann Wasser aus dem Hahn der Spüle lief. Als ich hereinkam, stand er vor dem Fenster zum Garten und trank durstig.
«Ich glaube, er hat das hier hingelegt.»
«Karin …» Macs Tonfall, den ich inzwischen so gut kannte: geduldig, voller Bedauern.
«Den sticht der Hafer. Wir sind ihm wieder zu langsam. Er will, dass wir bei seinem Spiel mitmachen.»
«Aber sein Spiel ist Domino. Mit Comics hat er nichts am Hut. Das passt nicht zu seinem Muster, wie du wohl weißt.»
Ich studierte den Flyer erneut. Vielleicht hatte Mac recht, und hier ging es wirklich nur um Comics und alles, was damit zusammenhing. Nicht um Spiele. Nicht um Dominosteine. Und JPP war noch nie von seinem Lieblingsmotiv abgewichen. Wenn Serienmörder ihren charakteristischen Fingerabdruck änderten, variierten sie ihr Grundthema nur leicht und wichen selten drastisch davon ab.
«Das hier ist völlig anders als die Hinweise, die er sonst gibt», sagte ich. «Das stimmt. Aber trotzdem habe ich ein komisches Gefühl.»
«Das ist nur ein Stück Papier. Vielleicht hat der Wind es durch das Tor geweht. Ich würde da nicht zu viel hineinlesen.»
Wahrscheinlich hatte er recht. Meine Gefühle fuhren mit mir in letzter Zeit Achterbahn und waren völlig unzuverlässig. Das war der andere Grund, aus dem ich heute meine Tasche packte.
In einen mittelgroßen Koffer stopfte ich Kleidungsstücke, Bücher und Kosmetikartikel und erinnerte mich daran, das Fläschchen mit dem Prozac aus dem Bad zu holen … und eine Tablette davon für heute zu nehmen. Das hatte ich bisher versäumt, weil ich die letzte Nacht im Penthouse verbracht hatte. Fast augenblicklich fühlte ich mich besser, erleichtert, als ob meine Gedanken sich aufhellen und meine Sorgen von mir abfallen würden.
«Kommt mir vor wie Urlaubsvorbereitungen», sagte ich und schloss die Tür hinter uns ab.
«Auf eine Art machst du ja auch Urlaub, allerdings erwartet dich kein Strand.»
Mac trug den Koffer zum Auto. Über den FDR Drive kamen wir schnell ins Stadtzentrum zurück, wo meine Familie auf mich wartete. Mac hielt vor dem Gebäude und erklärte mir vor dem Abschied noch, an welche Regeln ich mich in der sicheren Wohnung zu halten hatte.
«Du darfst nicht raus.»
«Weiß ich.»
«Falls du irgendwohin willst, ruf mich oder Billy Staples an.»
«Verstanden.»
«Es ist mein Ernst, Karin. Die Wachen haben entsprechende Anweisungen.» Er machte ein so ernstes Gesicht, wie ich es noch nie bei ihm gesehen hatte. Natürlich lag mir die Sicherheit meiner Familie mindestens so sehr am Herzen wie ihm. Aber er kannte mich eben.
«Mac», ich küsste ihn auf die Wange, « mach dir keine Sorgen .»
Ich fand schnell heraus, wie das Leben in diesem Hochsicherheitstrakt ablief. Alles, was wir brauchten, wurde bestellt und geliefert. Lebensmittel. Kosmetik. Kleidung. Wir verließen den Unterschlupf nie, und nach ein paar Tagen ununterbrochenen Aufenthalts darin fühlte er sich eher wie ein Raumschiff an. Es dauerte nicht lange, bis mir klar wurde, wie angespannt Jon, Andrea und Susanna sich die ganze Zeit schon fühlen mussten – während sie darauf warteten, dass David wuchs und JPP irgendwann zuschlug. Oder weshalb Susanna Wutanfälle bekam und Andrea immer wieder im Treibsand ihrer Depression versank. Auf mein Drängen wurde sie dreimal die Woche aus dem Gebäude eskortiert und zu Joyce’ Praxis gefahren. Allein aus der Wohnung herauszukommen, war wahrscheinlich ebenso hilfreich wie die Therapie selbst. Ich hatte inzwischen nur noch ein
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