Der Dorfpfarrer (German Edition)
hatte es ihn beinahe den Hals gekostet, weil er die Messe eines nicht vereidigten Priesters angehört hatte. Kurz, er wurde ins Gefängnis geworfen, mit Recht angeklagt die Flucht eines Bischofs begünstigt zu haben, dem er das Leben rettete. Glücklicherweise konnte der Jahrmarktströdler, der sich auf Feilen und Eisengitter verstand, entfliehen, wurde aber in contumaciam zum Tode verurteilt; und da er sich, nebenbei bemerkt, niemals einstellte, um sich nach der Verurteilung wegen Nichterscheinens persönlich zu stellen, so starb er zweimal. Seine Frau teilte seine frommen Gefühle. Der Geiz dieses Haushalts wich nur der Stimme der Religion. Die alten Alteisenhändlersleute gingen pünktlich zum Abendmahl und gaben in die Kollekten. Wenn der Vikar von Saint-Étienne zu ihnen kam, um sie um Hilfe zu bitten, holten Sauviat oder seine Frau sofort, ohne Ausreden zu gebrauchen oder Gesichter zu schneiden, herbei, was ihres Dafürhaltens ihre Beisteuer zu den Almosen des Kirchensprengels ausmachte. Die verstümmelte Jungfrau ihres Pfeilers wurde von 1799 an Ostern immer mit Buchs geschmückt. Zur Blumenzeit sahen die Passanten sie mit Sträußen verehrt, die in Bechern aus blauem Glase frisch gehalten wurden, besonders seit Véroniques Geburt. Bei Prozessionen bespannten die Sauviat ihr Haus sorgfältig mit blumenbesteckten Tüchern, und trugen mit zum Schmucke, zur Errichtung des Ruhealtars, des Stolzes ihrer Straßenecke, bei. Véronique Sauviat wurde also christlich erzogen. Vom siebenten Lebensjahre an hatte sie eine Auvergnater graue Schwester als Lehrerin, der die Sauviat einige kleine Dienste geleistet hatte. Alle beide waren sie ziemlich gefällig, sobald es sich nur um ihre Person oder ihre Zeit handelte, und in der Weise armer Leute dienstbereit, die sich mit gewisser Herzlichkeit untereinander helfen. Die graue Schwester brachte Véronique Lesen und Schreiben bei, lehrte sie die Geschichte des Volkes Gottes, den Katechismus, das Alte und Neue Testament und ein bißchen Rechnen. Das war alles; die graue Schwester meinte, es sei genug; es war schon zu viel. Mit neun Jahren setzte Véronique das Viertel durch ihre Schönheit in Erstaunen. Jeder bewunderte ein Gesicht, das eines Tages würdig sein würde des Pinsels der Maler, die sich bemühten, ein Schönheitsideal zu finden. Sie wurde die »kleine heilige Jungfrau« genannt und versprach Wohlgestalt und wie Milch und Blut zu werden. Ihr Madonnengesicht, denn die Volksstimme hatte sie mit dem richtigen Namen benannt, würde durch einen reichen und übervollen blonden Haarwuchs vervollständigt, der die Reinheit ihrer Züge hervorhob. Wer immer die herrliche kleine Jungfrau Tizians auf seinem großen Gemälde: »die Vorstellung im Tempel« gesehen hat, kann sich einen Begriff davon machen, wie Véronique in ihrer Jugend aussah: dieselbe unbefangene Treuherzigkeit, das gleiche seraphische Erstaunen in ihren Augen, die gleiche edle und einfache Haltung, dasselbe kindliche Benehmen. Mit elf Jahren hatte sie die Blattern und verdankte ihr Leben nur Schwester Marthes Sorgfalt. Die zwei Monate über, welche ihre Tochter in Gefahr schwebte, gaben die Sauviat dem ganzen Viertel das Maß ihrer Zärtlichkeit zu erkennen. Sauviat ging nicht mehr auf Auktionen, blieb die ganze Zeit über in seinem Laden, eilte zu seiner Tochter hinauf, ging von Zeit zu Zeit wieder hinunter, und wachte in Gesellschaft seines Weibes nachtnächtlich bei ihr. Sein stummer Schmerz schien zu tief, als daß jemand mit ihm zu sprechen wagte; mitleidig sahen ihn die Nachbarn an und fragten nur Schwester Marthe nach Veroniques Ergehen. Während der Tage, wo die Gefahr ihren Höhepunkt erreichte, sahen Passanten und Nachbarn zum ersten und einzigen Male in Sauviats Leben lange Zeit über Tränen aus seinen Wimpern rinnen und seine gefurchten Wangen entlangrollen; er wischte sie nicht fort, blieb einige Stunden lang wie stumpfsinnig, wagte nicht zu seiner Tochter hinaufzugehen und blickte vor sich hin, ohne zu sehen: man hätte ihn bestehlen können!
Véronique wurde gerettet, doch ihre Schönheit verdarb. Das durch einen Teint gleichmäßig gefärbte Gesicht, worin Braun und Rot sich harmonisch vertrieben, blieb von tausend Grübchen übersät, welche die Haut vergröberten, deren weißes Fleisch zu sehr gereizt worden war. Die Stirn konnte den Verwüstungen der Plage nicht entgehen, wurde braun und blieb wie gehämmert. Nichts ist unharmonischer als solche Ziegeltöne unter einer blonden Frisur, sie
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