Der Dorfpfarrer (German Edition)
sagte der Bischof zu, seinem jungen Abbé und wies auf die Schatten der Pappeln hin, welche ein einsam zwischen der Insel und der Vorstadt Saint-Étienne gelegenes Haus erreichten.
»Das hab' ich immer gedacht,« sagte Gabriel, »ich bin kein Richter, will kein Spion sein; aber wenn ich Staatsanwalt gewesen wäre, würde ich den Namen der Frau wissen, die bei jedem Geräusche, jedem Worte zittert, und deren Stirn nichtsdestoweniger klar und ruhig bleiben muß, da sie sonst den Verurteilten zum Schafott begleiten müßte. Sie hat indessen nichts zu befürchten: ich hab' den Mann gesehen, er wird das Geheimnis seiner glühenden Liebe mit ins Grab nehmen...«
»Kleiner Schlaukopf!« sagte der Bischof, seinem Sekretär ins Ohr kneifend und ihn zwischen der Insel und der Vorstadt Saint-Étienne auf den Raum hinweisend, welchen eine letzte rote Flamme der untergehenden Sonne erleuchtete, auf den die Augen des jungen Priesters gerichtet waren. »Dort hätte das Gericht wühlen müssen, nicht wahr?«
»Ich bin zu dem Verbrecher gegangen, um die Wirkungen meines Verdachts auf ihn zu prüfen; doch er ist von Spionen bewacht. Wenn ich laut gesprochen hätte, würde ich die Person, für die er stirbt, bloßgestellt haben.«
»Schweigen wir,« sagte der Bischof, »wir sind keine Männer des menschlichen Gerichts. Mit einem Kopf ist es genug. Früher oder später wird dies Geheimnis ja doch zur Kirche zurückkehren.«
Der Scharfblick, den die Gewohnheit des Nachsinnens den Priestern verleiht, ist dem der Staatsanwaltschaft und der Polizei überlegen.
Durch vieles Betrachten des Schauplatzes des Verbrechens von der Höhe ihrer Terrassen aus hatten der Prälat und sein Sekretär in Wahrheit die trotz der Nachforschungen der Untersuchung und der Schwurgerichtsverhandlungen noch unbekannten Einzelheiten durchdrungen.
Monsieur de Granville spielte Whist bei Madame Graslin, man mußte seine Rückkehr abwarten. Sein Entscheid wurde erst gegen Mitternacht im bischöflichen Palaste bekannt. Der Abbé Gabriel, dem der Bischof seinen Wagen gab, fuhr gegen zwei Uhr morgens nach Montégnac. Dieser etwa neun Meilen von der Stadt entfernte Ort liegt in dem Teile Limousins, der sich an den Bergen der Corrèze langzieht und an die Creuse grenzt. Der junge Abbé überließ also Limoges allen durch das versprochene Schauspiel, das doch noch nicht stattfinden sollte, entfachten Leidenschaften als Beute.
III
Der Pfarrer von Montégnac
Priester und fromme Leute haben die Neigung, sich, wenn ihr eigener Vorteil in Frage kommt, streng an das Verordnete zu halten. Ist es Armut? Ist's eine Wirkung des Egoismus, zu dem sie ihre Absonderung verdammt, und der in ihnen den Hang des Menschen zum Geiz begünstigt? Ist es eine Berechnung der durch die Ausübung der Barmherzigkeit gebotenen Knickrigkeit? Häufig unter einer anmutigen Biederkeit verborgen, oft auch ohne Umschweife verrät sich diese Unlust des In-die-Taschegreifens besonders auf der Reise. Gabriel de Rastignac, seit langem der hübscheste junge Mann, den die Altäre sich unter ihren Tabernakeln verneigen gesehen hatten, gab den Postillonen nur dreißig Sous Trinkgeld: er reiste daher langsam. Die Postillone fahren die Bischöfe, welche den durch die Verordnung zugebilligten Lohn nur verdoppeln, sehr respektvoll, verursachen dem bischöflichen Wagen aber keinen Schaden, aus Furcht, sich irgendwelche Ungnade zuzuziehen. Abbé Gabriel, der zum ersten Male allein reiste, sagte bei jeder Poststation mit sanfter Stimme:
»Fahren Sie doch schneller, meine Herren Postillone!«
»Wir greifen nur nach der Peitsche,« antwortete ein alter Postillon, »wenn die Reisenden in die Taschen greifen!«
Der junge Abbé vergrub sich in die Wagenecke, ohne sich diese Antwort erklären zu können. Um sich zu zerstreuen studierte er das Land, das er durchfuhr, und stieg mehrere der steilen Stellen, welche die Straße von Bordeaux nach Lyon sich hinaufschlängelt, zu Fuß hinan.
Fünf Meilen über Limoges hinaus nach den anmutigen Abhängen der Vienne und den hübschen sich abdachenden Wiesen Limousins, die an manchen Stellen und besonders bei Saint-Léonard an die Schweiz erinnern, bekommt das Land einen traurigen und melancholischen Anblick. Man stößt dann auf unbebaute wüste Flächen, Steppen ohne Gras und Pferde, die aber am Horizont von den Höhen der Corrèze eingesäumt werden. Dies Gebirge bietet den Augen des Reisenden weder die senkrecht aufsteigenden Höhen der Alpen und ihre erhabene
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