Der Dorfpfarrer (German Edition)
Anstatt dem Gottesdienste zu folgen, sah er sich unwiderstehlich gezwungen, den Seelenhirten zu beobachten, von welchem man das Bekehrungswunder des Verbrechers erwartete.
Nach dem Muster des Pfarrhofs hatte Gabriel de Rastignac sich ein imaginäres Bild des Pfarrers Bonnet gemacht: ein dicker und kurzer Mann, mit starkem und rotem Gesicht, ein halbbäuerlicher harter, von der Sonne verbrannter Arbeiter. Weit davon entfernt begegnete der Abbé seinesgleichen. Von kleiner und anscheinend schwacher Figur überraschte Monsieur Bonnet zuerst durch das leidenschaftliche Gesicht, welches man sich bei dem Apostel denkt: ein fast dreieckiges Antlitz, das mit einer breiten, von Falten durchfurchten Stirn begann und von den Schläfen bis zur Spitze des Kinns mit den beiden mageren Linien abschloß, welche sich auf seinen hohlen Wangen abzeichneten. In diesem Antlitze, das durch eine wie das Wachs einer Kerze gelbe Hautfarbe schmerzvergrämt war, glänzten zwei blaue Augen, die von Glauben strahlten und von lebhafter Hoffnung brannten. Es war gleichmäßig geteilt durch eine lange, schwache und gerade Nase mit gut geschnittenen Nüstern, unter der ständig, auch wenn er geschlossen war, ein breiter Mund mit hervortretenden Lippen sprach, und aus dem eine jener zu Herzen gehenden Stimmen drang. Das kastanienbraune, spärliche, feine und glatt über den Kopf gekämmte Haar zeigte eine schwache Leibesbeschaffenheit an, die einzig durch eine nüchterne Lebensweise aufrecht erhalten wurde. Der Wille machte die ganze Kraft dieses Mannes aus. Das waren seine Kennzeichen. Seine kurzen Hände hätten bei jedem anderen einen Hang zu derben Vergnügungen angekündigt, und vielleicht hatte er wie Sokrates seine bösen Neigungen besiegt. Seine Magerheit war anmutlos: seine Schultern traten zu sehr hervor und seine Knie waren nach einwärts gebogen. Der im Verhältnis zu den Extremitäten zu sehr entwickelte Oberkörper verlieh ihm das Aussehen eines buckellosen Buckligen. Alles in allem, er mußte mißfallen. Leute, denen die Wunder des Gedankens, des Glaubens und der Kunst bekannt sind, können allein jenen entflammten Blick des Märtyrers, jene Blässe der Beharrlichkeit und jene Stimme der Liebe anbeten, die den Pfarrer Bonnet auszeichnete. Dieser der anfänglichen Kirche würdige Mann, die nur noch auf den Bildern des XVI. Jahrhunderts und auf den Seiten des Martyrologiums vorhanden ist, war mit dem Siegel der menschlichen Größen, die sich am meisten den göttlichen Größen nähern, durch die Ueberzeugung gestempelt worden, deren unerklärliches Relief die gewöhnlichsten Gesichter verschönt, das Antlitz der sich irgendeinem Kult widmenden Menschen mit einer heißen Farbe vergoldet, wie es mit einer Art von Licht das Gesicht der von irgendeiner schönen Liebe verklärten Frau begabt. Die Ueberzeugung ist der zu seiner größten Macht gelangte menschliche Wille. Wirkung und Ursache zugleich, macht sie auf die kältesten Gemüter Eindruck, ist sie wie eine Art stummer Beredsamkeit, welche die Menge packt.
Als er vom Altar hinunterstieg, begegnete der Pfarrer Abbé Gabriels Blick; er erkannte ihn wieder; und als der Sekretär des Bischofs sich in der Sakristei einfand, war Ursule, welcher ihr Herr bereits seine Befehle erteilt hatte, allem dort und lud den jungen Abbé ein, ihr zu folgen.
»Mein Herr,« sagte Ursule, eine Frau im kanonischen Alter, als sie den Abbé Rastignac durch die Galerie in den Garten führte, »der Herr Pfarrer hat mir gesagt, ich sollte Sie fragen, ob Sie gefrühstückt hätten. Sehr zeitig haben Sie von Limoges aufbrechen müssen, um zehn Uhr hier zu sein, ich will daher alles zum Frühstück vorbereiten. Der Herr Abbé wird freilich Hochwürdens Tisch hier nicht vorfinden, wir wollen jedoch unser Bestes tun. Monsieur Bonnet wird nicht lange auf sich warten lassen, er ist die armen Leute ... die Tascheron ... trösten gegangen ... Heute ist der Tag, wo ihr Sohn ein sehr furchtbares Ende findet ...«
»Aber wo liegt denn dieser braven Leute Haus?« sagte Abbé Gabriel endlich. »Ich muß Monsieur Bonnet sofort auf Hochwürdens Befehl nach Limoges bringen. Der Unglückliche wird heute nicht hingerichtet werden; Hochwürden hat einen Aufschub erlangt ...«
»Ach,« sagte Ursule, der die Zunge juckte, da sie eine solche Nachricht unter die Leute bringen konnte, »der Herr hat wohl Zeit, ihnen diesen Trost zu bringen, während ich das Frühstück fertigmache. Das Haus der Tascheron liegt am Ende des Dorfes.
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