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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Gehen Sie dem Pfad nach, der unten an der Terrasse entlang führt, er wird Sie hinbringen.«
    Als Ursule den Abbé Gabriel aus den Augen verloren hatte, ging sie, um diese Neuigkeit zu verbreiten, ins Dorf hinunter, indem sie die zum Frühstück nötigen Sachen dort zusammenholte.
    Der Pfarrer hatte in der Kirche kurz von einem verzweifelten Entschlusse gehört, welcher den Tascheron durch die abschlägige Bescheidung des Gnadengesuchs eingegeben worden war. Die braven Leute verließen das Land und sollten an diesem Morgen den Preis für ihre vorher verkauften Güter erhalten. Der Verkauf hatte Verzug und von ihnen nicht vorhergesehene Formalitäten gefordert. So waren sie nach Jean-François' Verurteilung gezwungen gewesen, im Lande zu bleiben, und jeder Tag hatte für sie einen Kelch der Bitterkeit bedeutet, der getrunken werden mußte. Dieser so heimlich bewerkstelligte Plan wurde erst am Vorabend des Tages bekannt, an dem die Hinrichtung stattfinden sollte. Die Tascheron hatten vor diesem verhängnisvollen Tage abreisen zu können geglaubt; der Käufer ihrer Besitztümer aber war im Bezirke fremd, ein Correziner, dem ihre Gründe gleichgültig gewesen wären, und der überdies Verzögerungen beim Eingange seiner Gelder erlitten hatte. So war denn die Familie genötigt gewesen, ihr Unglück bis zum Ende auszukosten. Das Gefühl, welches diese Auswanderung diktierte, war in diesen einfachen, an Gewissensausgleiche so wenig gewöhnten Leuten so stark, daß der Großvater und die Großmutter, die Töchter mit ihren Ehemännern, der Vater und die Mutter, alles, was den Namen Tascheron trug oder mit ihnen nahe verbunden war, das Land verließ. Diese Auswanderung machte der ganzen Gemeinde Kummer. Der Bürgermeister hatte den Pfarrer gebeten, die armen Leute zurückzuhalten zu suchen. Dem neuen Gesetze nach ist der Vater nicht mehr verantwortlich für den Sohn und des Vaters Verbrechen befleckte seine Familie nicht mehr. In Uebereinstimmung mit bürgerlichen Gleichstellungen, welche die väterliche Macht so sehr geschwächt haben, ließ dies System den Individualismus, der die moderne Gesellschaft verschlingt, triumphieren. So sieht denn auch, wer an Zukunftsdinge denkt, den Familiengeist da vernichtet, wo die Herausgeber des neuen Gesetzbuches den freien Willen und die Gleichheit aufgestellt haben. Da sie notwendigerweise vergänglich ist, unaufhörlich geteilt wieder zusammengesetzt wird, um sich abermals aufzulösen, und ohne Band zwischen Zukunft und Vergangenheit ist, gibt es die Familie von ehedem in Frankreich nicht mehr. Die, welche die Zerstörung des alten Gebäudes vorgenommen haben, sind logisch vorgegangen, indem sie auch die Güter der Familien teilten, indem sie die väterliche Autorität verminderten, da sie ja jedes Kind zum Haupte einer neuen Familie machten, und indem die großen Verantwortlichkeiten unterdrückt wurden. Ist aber der soziale Staat ebenso solide mit seinen jungen, noch nicht lange erprobten Gesetzen, als es die Monarchie mit ihren alten Mißbräuchen war? Dadurch daß sie die Familiensolidarität verlor, ist der Gesellschaft jene fundamentale Macht abhandengekommen, die Montesquieu entdeckt und »die Ehre« genannt hatte. Sie hat alles isoliert, um besser zu herrschen, alles geteilt, um zu schwächen. Sie herrscht über Einheiten, über wie Getreidekörner auf einen Haufen zusammengeschüttete Zahlen. Können Allgemeininteressen Familien ersetzen? Die Zeit hat das Wort in dieser großen Frage. Nichtsdestoweniger besteht das alte Gesetz weiter, es hat so tiefe Wurzeln gefaßt, daß man deren starke in den Volksschichten noch finden kann. Es gibt Provinzwinkel, wo es das, was man Vorurteil nennt, noch gibt, wo die Familie unter dem Verbrechen eines seiner Kinder oder eines seiner Väter mit zu leiden hat. Dieser Glaube machte das Land für die Tascheron unbewohnbar. Ihre tiefe Religiosität hatte sie am Morgen in die Kirche geführt; war es denn möglich, ohne daran teilzunehmen, die Messe lesen zu lassen, die man Gott darbot, um ihn zu bitten, ihrem Sohne eine Reue einzuflößen, die ihn dem ewigen Leben wiedergäbe, und mußten sie außerdem nicht dem Altare ihres Dorfes Lebewohl sagen? Der Plan aber war ausgeführt worden. Als der Pfarrer, der ihnen folgte, in das Haupthaus eintrat, fand er die Reisebündel geschnürt. Der Käufer erwartete mit seinem Gelde die Verkäufer. Der Notar machte gerade die Quittungen fertig. Im Hofe, hinter dem Hause, stand ein angeschirrter Wagen, der die

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