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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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arbeiten. Als unverhofft Shandar auftaucht, ist sie geladen genug, ihn mit der Imitation des Fauchens zu empfangen. Er reißt überrascht Augen und Mund auf, sagt aber nichts. Weicht ihren drängenden Fragen aus. Sie schreit ihn an, er brüllt zurück. In ihr Geschrei mischt sich das Klingeln des Telefons. Dran ist der Kurator der Stiftung, die einen Teil der Transportkosten von Schrift an der Wand zur Biennale trägt. Er teilt ihr mit, dass das Kulturamt Venedig sich plötzlich weigere, für die Restsumme aufzukommen. Bedauernd fügt der Kurator hinzu, seine Stiftung könne leider nicht mehr als die zugesagten dreitausend Euro …
    Nicht so sehr die Nachricht als solche ist es, die Réa erschüttert, sondern vielmehr der Zeitpunkt des Anrufes. Kein Zufall kann doch so lächerlich sein. Sie beendet das Gespräch. Shandar hat zugehört. Auch das ärgert sie. Zornig ahmt sie nochmals das Fauchen nach und schreit: »Versuch nicht dich rauszureden, ich hab dein Handy abgehört.«
    Shandar bricht in Tränen aus und gesteht, dieser Anruf sei noch das Harmloseste. Seit Tagen werde er beobachtet. Ein BMW ist ihm aufgefallen, der genau in dem Moment anfuhr, als er mit dem Fahrrad vorbeikam. Vorgestern ist ihm ein Wagen gleichen Typs über viele Kreuzungen hinweg gefolgt. Zudem ist ihm letzte Woche hinterm Fenster des Bistros gegenüber seinem ehemaligen Wohnblock mehrmals eine lesende Frau aufgefallen.
    Réa stutzt. Der BMW mochte auffällig sein. Hingegen konnte ihm die Frau nur auffallen, weil er übermäßig achtsam ist. Ist er das? Und weshalb? Ein Satz aus Loretans Brief kommt ihr in den Sinn – das Verhalten gewisser Kreise in Ihrem Umfeld …
    Es gebe da Gerüchte, sagt sie zu Shandar. Er sei in unsaubere Machenschaften verwickelt. Shandar fragt nicht einmal nach, sondern knickt sofort ein und sprudelt seine Beichte heraus. Offensichtlich erleichtert, sich endlich aussprechen zu können. So wortreich erklärt er sich, dass Réa keinen Zweifel an seiner Version hat, zumal sie ihren Liebhaber in edler Mission zeigt. Er und seine Freunde wollen die himmelschreiende Ausbeutung ghanaischer Kinder stoppen. Denn in Betrieben, in denen Aldo Bellini produzieren lässt, kommen Kinder zu Schaden. Arbeiten unter Gefahr für Leib und Leben. Selbst die einfachsten Schutzvorrichtungen werden ihnen verweigert. Freunde von ihm aus Accra hätten heimlich einen Film davon gedreht. Mit diesem haben sie Bellini konfrontiert. Sie fordern medizinische Behandlung für die verunstalteten und Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die übrigen Kinder in den Textilbetrieben.
    Réa begreift sofort, dass Shandar ernstlich in Gefahr ist. Und dass sie selbst mit drinhängt. Schließlich verdankt Aldo ihr und Shandar seine Kontakte zu den Sans Papiers. Und ohne die hätte er nie in Ghana produzieren können. In Aldos Augen muss Shandar der Drahtzieher hier im Städtchen sein. Offensichtlich hat Aldo, in Bedrängnis geraten, begonnen, seine Beziehungen spielen zu lassen … Jede ihrer Einsichten zieht eine neue nach sich. Atemlos hatte mir Réa berichtet und mich dabei keine Sekunde aus den Augen gelassen. Jetzt sagte sie: »Meine Erkenntnisse kamen mir vor wie umstürzende Kegel, die mir vor die Füße kollerten. Rumms. Die Kugel erwischt den ersten Kegel, rumms, und bringt den nächsten ins Schwanken. Auch der fällt um, rumms, und dann einer nach dem anderen. Die Schwierigkeiten bei der Genehmigung für das Theaterzelt, die anonymen Anrufe, Loretans Kündigung: Rumms! Der Shandar verfolgende BMW, die observierende Frau hinter der Scheibe des Bistros: Rumms. Und die Probleme mit Venedig: Nochmals ein Rumms. Alles Zufall, Henry? Dass ich nicht lache! Deshalb musste ich dich unbedingt sprechen. Ich habe solche Angst! Da spielt jemand ein ganz böses Spiel.«
    Réa verstummte schlagartig, das heißt, sie schlug sich beim letzten Rumms aufs Knie und griff sich die Tasse. Mehr als lauwarm war der Tee bestimmt nicht mehr. Sie trank schlürfend, weil ihre Lippen zitterten. Und ich dachte, dass da wirklich ein böses Spiel laufe. Ich selbst konnte weitere »Rumms« beitragen: der Film in der Brahmshülle. Die Flüge nach Italien. Aldos nächtliche Besucher. Und wo hatte der alte Bellini seine Macht aufgebaut? Genau – in Venedig!
    Doch ich sagte nur: »Vielleicht wäre es gut, wenn du Shandar eine Zeit lang aus der Schusslinie bringen würdest.«
    »Das habe ich ihm auch vorgeschlagen. Aber ich wüsste nicht, wo er hinkönnte.«
    »Oder er geht sofort

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