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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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hatte. Meine Hypothesen begannen sich sozusagen von selbst zu verifizieren: Unsereinen braucht es nicht. Wie eben bewiesen. Hatte ich nicht genau diesen Beweis führen wollen? Und müsste ich jetzt nicht vollmundige Genugtuung empfinden? Stattdessen trank ich Glas um Glas.
    »Henry, verstehst du, worum ich dich bitte? Hol Carla auf den Boden der Tatsachen zurück. Bring sie zur Vernunft, sonst … kommt es nicht gut!«, hörte ich Severin sagen.
    Draußen rauschte der Regen. Ich stellte mir vor, wie der Fluss anstieg, wie in der Dunkelheit die Wassermassen durchs Wehr bei der nie gebauten Brücke schossen. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Und ich war beschwipst. Irgendwie auch tröstlich. Zwei Freunde zusammen am Bechern, was für eine natürliche Sache das sein könnte! Und der Wein war wirklich gut.
    »Du hast recht«, sagte ich und hätte selbst nicht erklären können, was ich damit meinte. Severin fragte auch nicht. Er hielt sich an den Wein.
    Ich stand auf, trat ans Fenster und zog die Flügel weit auf. Überließ meinen Blick der Schwärze der Nacht. Irgendwo da draußen im strömenden Regen hockte eine Kröte. Mitten im Weichbild der Stadt, womöglich direkt auf dem Münsterplatz. Über ihre schillernde Haut kullerten die fetten Regentropfen – das war zwar betrunkener Unsinn, aber trotzdem – die Ausdünstungen dieses Urtiers waren ganz real. Sie machten Réa rammdösig und benebelten Carla, vergifteten Severin und chloroformierten Aldo. Wie hat die Kröte das bloß angestellt ?, brauste es in meinen Ohren. Es war aber nur der sintflutartige Regen über der Stadt.
    Ich musste an Lilith und Maurice denken und daran, dass der Nachthimmel über Rosas Haus im Süden jetzt bestimmt wolkenlos war, dafür übersät mit blinzelnden Sternen. Rosas Haus! Mir war, ich sähe Rosas lächelndes Gesicht, sähe das Blinzeln aus ihren Gänsefüßchen. Ich stützte mich am Fensterbrett ab, weil mir schwindelte. Rosas Haus! Plötzlich begriff ich. »Einige Male bin ich ihm nahe gewesen«, hatte Rosa geantwortet, als ich sie nach Salvatore Bellini fragte, und maliziös dabei gelächelt. Aldos Spott, dass sein Vater jeder neuen Geliebten ein Konto eingerichtet habe. Carlas Entdeckung einer hohen Zahlung auf das Konto einer Bank in Avignon. Und von Réa wusste ich, dass Severin erst vom Haus seiner Mutter in Südfrankreich erfahren hatte, als er schon längst Pfarrer am Münster war: »Erst lange nach dem Tod seines Vaters Klaus hat ihn Rosa erstmals dorthin mitgenommen.« Rosas Haus ist das Geschenk ihres Liebhabers Salvatore. Aber warum ein so großes Geschenk? Ich erschrak, als Severin plötzlich neben mich ans Fenster trat und mit einem metallenen Röllchen auf mich zielte. Es war eine Zigarre. Seine hielt er bereits entzündet in der anderen Hand. »Aldo ist immer wieder spendabel zu mir«, sagte er.
    Ich lehnte die Zigarre ab: »Viel lieber würde ich mich jetzt draußen in den Regen stellen«, murmelte ich.
    Woraus Severin schloss, dass ich den Abend beenden wollte. Enttäuscht musterte er mich. Er hatte von diesem Besuch ganz offensichtlich mehr erwartet. Und da ich ihn nicht hängen lassen wollte, versprach ich ihm, das Gespräch mit Carla zu suchen. »Ob das allerdings sinnvoll ist …«
    »Aber sicher doch. Du hast bei ihr ganze Felsbrocken im Brett. Wenn es einer schafft, sie zu überzeugen, dann du.«
    Meiner Müdigkeit und meinen Promillen bekam diese Schmeichelei ganz und gar nicht. Jedenfalls verspürte ich plötzlich Ekel und das Bedürfnis, ihn zu provozieren. Ich konnte nicht anders, als ihm zuzubellen: »Außerdem würde Aldo sich selbst stellen, wenn er der Täter wäre. Er ist alles – aber kein Charakterlump!«
    Also doch! Obwohl ich nicht mehr richtig imstande war, den Blick scharf zu stellen, nahm ich wahr, dass Severin zutiefst erschrak. Er sagte nichts. Er blickte in die Nacht hinaus. Und seine Stimme klang wie wund geschürft, als er mich um einen Schirm bat. Ich gab ihm einen und er brach auf. Ich schaute ihm nach und staunte, wie rasch ihn die Schwärze verschluckte.
    Mein dritter abendlicher Gast in dieser Woche klingelte ohne Vorankündigung am Freitagabend, neun Uhr war schon vorbei. In meinem Zimmer im ersten Stock stand die Tür offen und ich registrierte Barbaras eilige Schritte zur Eingangstür.
    »Ist Henry da?«, vernahm ich Réas Stimme.
    »Warum?« Barbara klang gereizt.
    »Es geht um Leben und Tod!«, gellte Réa.
    Barbara konterte indigniert: »Wenn du so schreien kannst, bist du noch

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