Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
Vom Netzwerk:
nicht ab!«, keuchte sie. Mehr als verdattert ließ Rosa ihr Handy sinken. Sie fühlte sich hämisch abgewiesen. Nicht ihre Anrufe waren ins Leere gegangen, sie selbst war in die Leere geführt worden. Was jetzt? Die Reisetasche stand zu ihren Füßen. Sie versetzte ihr einen kleinen Tritt. Die beiden wollen mich gar nicht zurück. Der Gedanke war nichts wert und trotzdem lockte er ihren Trotz hervor.
    Zu Fuß erreichte sie das Pfarrhaus. Weder brannte Licht drinnen noch stand Severins Wagen davor. Also war er immer noch nicht zu Hause. Sie durchwühlte ihre Handtasche nach dem Schlüssel fürs Pfarrhaus und hielt plötzlich den eisernen der Kapelle in der Hand. Er war schwer. Eigentlich hätte sie ihn zurücklegen sollen. Sie könnte es jetzt tun. Während sie ihn in den Händen wog, fragte sie sich, warum sie so unschlüssig war. Weil es ihr lieber wäre, wenn Severin von sich aus herausfände, dass jemand in sein Revier eingebrochen war? Oder war sie zu feige, um ihn mit ihrer Entdeckung zu konfrontieren?
    Sie schloss auf und betrat die Halle. Es war nahezu dunkel. Nur aus der Küche drang etwas Licht. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte die Tür vor Stunden schon genauso halb offen gestanden. Der Knall der zufallenden Haustür schreckte sie auf. Ihr Blick fiel auf die Garderobe. Dort hatte sie doch Severins schlaffe Mantelhülle gesehen. Jetzt war der Mantel weg. Also war er im Haus gewesen und demnach konnte er das Fehlen des Schlüssels bemerkt haben. Was würde er dann getan haben? Wäre er hinüber zur Kapelle geeilt, um zu klären, ob er den Schlüssel stecken gelassen habe? Diese Überlegung bewog sie zu dem Entschluss, selbst nachzusehen. Der Zentralschlüssel am Schlüsselbrett verschaffte ihr Zutritt in die Abtei und von dort ins Münster. Es würde überall rabenschwarz sein, aber sie wusste, dass der Küster für seine spätabendlichen Rundgänge immer ein paar Gasleuchten bereithielt. Das Köfferchen stellte sie vor die Ablage. Den klobigen Schlüssel zur Kapelle steckte sie sich in die Jackentasche. Dann verließ sie das Haus, ohne zuzusperren. Auf dem Vorplatz machte sie kehrt, weil sie daran dachte, dass Severin jederzeit auftauchen und sich wundern könnte. Besser, sie hinterließe ihm eine Nachricht. Guten Abend! , schrieb sie, ich bin wieder im Land und kurz drüben in der Kirche. Rosa.
    Sie fand die Leuchten. Nach einigem Bemühen sprang eine schließlich an. So betrat sie das Kirchenschiff. Ganz langsam drang sie vor und ihr schien, das Gaslicht habe sich verselbstständigt und bestimme die Richtung, die sie einschlagen solle. Schatten wichen zurück und drehten sich um Säulen, wenn sie abbog, und Schatten zogen sich unter die Bänke zurück, wenn sie näher kam. Ihr wurde ganz ehrfürchtig zumute. Aus einer Laune heraus schob sie sich einige Meter zwischen die Bänke, setzte sich und platzierte die Leuchte nah bei sich auf der Bank. Ihre ursprüngliche Absicht, zur Kapelle hinaufzusteigen, hatte sich verflüchtigt. Was hatte sie eigentlich hierhergeführt? Hatte sie Zeit gewinnen wollen? Irgendwelche Einsichten erwartet? Oder hatte sie es nicht ertragen, im Pfarrhaus auf Severin zu warten? Doch wieso dann ausgerechnet hier, nahe der Kanzel, von der aus Severin die Totenfeier für jenes Mädchen zelebriert hatte? Erst als sie sich aufschluchzen hörte, wurde Rosa klar, dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Wie sie es auch drehte und wendete, sie sah sich selbst am Anfang einer langen Verkettung von Umständen, die Severin aus der Bahn geworfen hatten. Ihre groteske, aufwühlende Liebschaft stand am Anfang. Sie verlor sich an Gedanken, die kamen und verblassten, während die Leuchte neben ihr mit gleichmäßigem tsch-ch tsch-ch die Stille weihte.
    »Rosa!« Ihr Name barst im Dunkel und verhallte. Es war eindeutig Severins Stimme. Von der Abtei her näherten sich hallende Schritte. Ein leuchtender Fleck geisterte ihr entgegen. Dass es sein beiges Hemd unter der offenen braunen Jacke war, erkannte sie erst, als er bei ihrer Bank anlangte.
    »Rosa! Warum bist du schon zurück? Was ist passiert?« Severin stützte seine Arme auf die Rücklehne ihrer Bankreihe; eine vornübergebeugte Gestalt, die jeden Fluchtversuch unterbinden würde. Sein Auftauchen und seine Haltung überwältigten Rosa. Sie war unfähig zu einer Antwort. Dabei hatte sie sich diese Situation seit Stunden auszumalen versucht. Draußen im See waren ihr mit jedem ausholenden Schwimmzug Wendungen eingefallen. Ich bin und

Weitere Kostenlose Bücher