Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
Finsterniszusammenzukauern, wenn er doch aufstehen und den kleinen Scherz zugeben konnte, den er sich erlaubt hatte …
    Wo bist du? Zeig dich!
    Gerade als die ruhige Stimme in seinem Ohr ihn überzeugt hatte, dass es nichts Einfacheres gäbe, als aufzustehen und zu sprechen – er wollte eben nach den Säcken greifen, um sich aufzurichten –, schweiften Pryrates’ schwarze Augen über den dunklen Spalt, aus dem Simon hervorspähte, und der Blick, der ihn streifte, tötete jeden Gedanken an ein Sichzeigen, wie jäher Frost eine Rosenblüte welken lässt. Pryrates’ Blick berührte Simons verborgene Augen, und im Herzen des Jungen öffnete sich eine Tür, auf deren Schwelle der Schatten der Vernichtung stand.
    Das hier war der Tod – Simon wusste es. Unter seinen kratzenden Fingern fühlte er das Bröckeln von kalter Friedhofserde, das Gewicht dunklen, feuchten Bodens auf Mund und Augen. Auf einmal gab es keine Worte mehr, keine leidenschaftslose Stimme in seinem Kopf, nur ein Ziehen – etwas, das sich nicht greifen ließ, ihn aber zu sich zog, Stück für Stück. Ein Wurm aus Eis umklammerte sein Herz, während er dagegen ankämpfte – dort wartete der Tod, sein Tod. Wenn er nur einen Laut von sich gab, das winzigste Zittern oder Keuchen, würde er die Sonne nie wieder sehen. Er schloss die Augen so fest, dass ihm die Schläfen wehtaten; er verschloss trotz der quälenden Atemnot Zähne und Zunge. Die Stille zischte und hämmerte. Der Sog wurde stärker.
    Simon fühlte sich, als sinke er langsam in die erdrückenden Tiefen der See hinab.
    Einem plötzlichen Aufjaulen folgte ein erschreckter Fluch von Pryrates. Der ungreifbare Würgegriff war verschwunden; Simons Augen sprangen auf, und er sah gerade noch ein schlankes, graues Wesen vorüberhuschen, über Pryrates’ Stiefel springen und mit einem Satz die Luke hinab- und in die Dunkelheit huschten. Das verblüffte Lachen des Priesters schnarrte durch den vollgestopften Raum und hallte dumpf von den Wänden wider.
    »Eine Katze!«
    Nach einer Pause von einem halben Dutzend Herzschlägen machten die schwarzen Stiefel kehrt und bewegten sich wieder den Gangentlang. Wenig später hörte Simon die Leitersprossen knarren. Er blieb – noch immer erstarrt – sitzen, sein Atem ging flach, alle Sinne waren in höchster Alarmbereitschaft. Kalter Schweiß rann ihm in die Augen, aber er hob keine Hand, um ihn abzuwischen. Noch nicht!
    Endlich, nachdem viele Minuten vergangen und die Geräusche verstummt waren, wagte sich Simon zwischen den schützenden Säcken hervor, schwankend, auf schwachen, zitternden Beinen. Preis Usires und Segen über die kleine Ratzenkatze! Aber was nun? Er hatte gehört, wie sich der Deckel der oberen Falltür schloss und über ihm Schritte verklungen waren, aber das hieß nicht, dass Pryrates wirklich fortgegangen war. Es bedeutete ein Risiko, die schwere Tür anzuheben und sich umzusehen; wenn sich der Priester noch im Lagerraum befand, würde er es höchstwahrscheinlich hören. Wie sollte Simon hinauskommen?
    Er wusste, dass er am besten blieb, wo er war und in der Dunkelheit abwartete. Selbst wenn sich der Alchimist noch im oberen Raum aufhielt, musste er doch irgendwann dort fertig sein und fortgehen. Es schien das bei weitem Vernünftigste zu sein, aber etwas in Simon sträubte sich dagegen. Es war eine Sache, Angst zu haben – und Pryrates hatte ihm einen derartigen Schrecken eingejagt, dass er fast den Verstand verloren hätte –, aber es war eine andere Sache, den ganzen Abend eingesperrt in einer dunklen Kammer zu sitzen und dafür auch noch bestraft zu werden, wo doch der Priester so gut wie mit Gewissheit auf dem Weg zu seinem Horst im Hjeldinturm war.
    Außerdem glaube ich nicht, dass er mich wirklich dazu gebracht hätte, mein Versteck zu verlassen … oder doch? Wahrscheinlich hatte ich einfach nur so eine wahnsinnige Angst …
    Ihm fiel der Hund mit dem gebrochenen Rückgrat ein. Simon würgte und brachte einige Zeit damit zu, seinen Atem zu beruhigen.
    Und was war mit der Katze, die ihn davor bewahrt hatte, erwischt – gefangen – zu werden? Das Bild von Pryrates’ abgrundschwarzen Augen ließ ihn nicht los: Das war keine Angstfantasie! Wohin war die Katze gelaufen? Wenn sie nach unten in das tiefere Stockwerk gesprungen war, konnte sie bestimmt nicht wieder nachdraußen und würde ohne Simons Hilfe elendig umkommen. Er hatte eine Ehrenschuld zu begleichen.
    Als er sich leise auf die Leitern zubewegte, nahm er ein

Weitere Kostenlose Bücher