Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
Nacht können wir ungesehen vorbeischleichen.«
»Wenn wir ein paar Schritte weit ins Unterholz gehen, klappt das auch bei Tageslicht«, brummte Aiphyron. »Dunkel der Nacht, Unsinn.«
In diesem Moment zuckelte etwa einen halben Schritt neben ihnen ein dicker Holzstamm vorbei. Er schrammte mit der Unterkante über Aiphyrons Flügel und schlingerte dann weiter in Richtung Netz.
»Drecksholz, dreckiges«, knurrte der Drache leise. »Dämlicher Nachzügler.« Dann drehte er sich um, um gegen den Flusslauf zu schwimmen.
Der Stamm war jedoch kein Nachzügler gewesen, sondern die Vorhut weiterer Stämme.
Dicke Hölzer von bis zu zwei Schritt Durchmesser und teils deutlich länger als Aiphyron schwappten auf sie zu, ein dicker
Koloss mit rötlicher Rinde und beinahe schwarzem Kern hatte sie direkt anvisiert, und Aiphyron konnte sich gerade noch zur Seite werfen. Ben klammerte sich an den Flügelansatz und presste die Beine zusammen, um nicht ins Wasser zu rutschen. Haarscharf trieb der Stamm an ihnen vorbei.
Doch damit waren sie noch lange nicht aus der Gefahrenzone, immer mehr Stämme wurden auf sie zugetrieben. Weiter hinten war vom Sippa beinahe nichts mehr zu erkennen, es sah aus, als würde eine hölzerne Welle auf sie zuwalzen, der Fluss glitzerte nicht mehr im Sonnenlicht, sondern war dunkel geworden vor lauter Brauntönen. Abgeschabte Rindenstückchen tanzten auf den Wellen vor den Stämmen her. Dieser Masse konnten sie nicht ausweichen, die Stämme würden sie bis in das Netz mitreißen.
Ben warf den Kopf herum. Die Leute am Ufer hatten nun die neuen Stämme bemerkt, und damit auch ihn und den Drachen. Hektisch winkten sie ihnen zu, den Fluss zu verlassen, und Ben konnte auf die Entfernung kaum verstehen, was sie schrien, aber es war wohl ungefähr: »Kommt raus, wenn ihr zwischen dem Holz nicht zerquetscht werden wollt!«
Doch sie konnten nicht hinaus, sie durften nicht. Die Männer mit den roten Umhängen würden Aiphyron auf der Stelle entflügeln und überzeugt sein, eine gute Tat vollbracht zu haben. Sie trugen Schwerter am Gürtel, und niemand wusste, ob es Blausilberklingen waren und wie viele von ihnen noch im Wald verborgen waren.
»Tauchen!«, rief Ben Aiphyron zu. »Wir müssen so nah wie möglich ans Netz ran und dann tauchen.«
»Spinnst du?« Doch der Drache schwamm los.
Sie durften nicht länger warten, wenn sie nicht überrollt werden wollten.
»Wir sollen uns unter Wasser im Netz verfangen? Willst du vielleicht ertrinken?«
»Stämme schwimmen oben. Wahrscheinlich geht das Netz gar nicht bis zum Grund.«
»Wahrscheinlich?«, knurrte Aiphyron. »Das ist doch mal ein gutes Wort. Ich liebe todsichere Pläne.« Dabei hielt er auf die Flussmitte zu.
Auch Ben hoffte, dass der Sippa dort am tiefsten war, und vor allem, dass er recht hatte mit seiner Behauptung über das Netz.
»Nein! Nicht!« Die Leute an Land winkten sie mit den Armen zurück, einer mit rotem Umhang wedelte sie heftig herbei, und der große Fette machte gar nichts, er starrte sie einfach nur an. »Kommt raus!«
»Tauch!«, zischte Ben und winkte lächelnd den Menschen am Ufer zu. Dabei deutete er auf sein Ohr und zuckte mit den Schultern, als wolle er sagen, er sei leider taub.
»Ich tauche, wann ich will.« Aiphyron paddelte noch näher an die mächtigen Holzstämme heran, die von der Strömung ins Netz und aneinander gedrückt wurden. Es knirschte und ächzte, und mit einem dumpfen Schlag traf der erste neue Stamm auf die Wartenden und verschob deren Gebilde. Ganz vorne am Netz entdeckte Ben einen dieser rot-orangenen Fische, oder was von ihm übrig war - das Tier musste zwischen zwei Stämmen zermahlen worden sein wie zwischen Mühlrädern. Schuppen klebten auf der Rinde, der Kopf mit den toten Augen klemmte unter einem Stück Holz, das halb vom Stamm abgesplittert war. Ben schüttelte es, er wollte nicht so enden.
»Jetzt«, brummte Aiphyron, und Ben holte Luft. Mit aller Kraft klammerte er sich an den Schulterknubbel und den Ansatz
des gesunden Flügels, drückte seine Fersen in Aiphyrons Flanke und ließ sich hinabziehen.
Unter Wasser schlängelte sich der Drache wie eine Seeschlange voran und tauchte tief unter den Baumstämmen hindurch. Das Wasser war klar, und Ben hielt die Augen geöffnet. Kleine Fische huschten vor ihnen davon. Das Netz reichte tatsächlich nicht weit hinab, vielleicht zwei, drei Schritt unter die Oberfläche. An seiner Unterkante lief ebenfalls ein dickes Seil entlang, das am Ufer
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