Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
hinweggetragen wurde. Mit den Beinen berührte er den Felsgrat und stieß sich noch einmal kräftig ab. Torkelnd stürzte er in die Tiefe, doch mit seinem verbliebenen Flügel konnte er sich bis in die Ebene hinter dem Gebirge retten. Dort fanden ihn die anderen Drachen, er lag im Sterben.
Da tauchte plötzlich ein kleiner Mensch auf, ein Mann mit dichtem Bart und fröhlichen Augen, der sagte, er habe von einem verletzten Drachen geträumt, der seiner Hilfe bedürfe.
Die Drachen verlachten ihn, doch ließen sie ihn durch. Und der Mann ging zu Firbentorh und sagte ihm, er solle gesund werden. Tagelang saß er an seiner Seite und flüsterte auf ihn ein, und Firbentorhs zerschmetterter Flügel heilte tatsächlich.
Firbentorh erhob sich daraufhin wieder in die Lüfte und flog über die Gebirgskette zurück. Und als die Vorväter der Trolle ihn erkannten, verloren sie vor Wut und Enttäuschung alles Geschick in den Händen; was auch immer sie nach ihm warfen, sie verfehlten ihn weit. Und fortan sollte keiner von ihnen mehr einen einzigen Drachen mit einer Bola vom Himmel holen. Die Drachen waren wieder frei, überall zu fliegen, und ihre Schwermut war verschwunden.
Firbentorh und der Mensch wurden Freunde, und auch wenn der Name des Mannes inzwischen vergessen ist, so war er doch der erste Drachenflüsterer, von dem wir wissen.« Aiphyron beendete die eigentümliche Erzählung mit einem Nicken. »Viele kamen nicht nach ihm, doch ich glaube, du bist einer von ihnen. Du bist ein Drachenflüsterer.«
»Was?«, fragte Ben überrascht und verständnislos. In Gedanken war er noch ganz bei Firbentorh und den Vorvätern der Trolle.
»Ein Drachenflüsterer. Wie Firbentorhs Freund. Ein Mensch mit der außergewöhnlichen Begabung, einen Drachen kraft seiner Stimme heilen zu können.«
»Kraft der Stimme? Aber ich habe doch gar nichts gesagt, nicht ein Wort habe ich deinem Schulterknubbel zugeflüstert«, wandte Ben ein.
»Dann bist du eben ein Drachenflüsterer, der nicht flüstert, was soll’s.«
»Ja, aber dann bin ich doch gar kein...«
»Papperlapapp! Du kannst das scheinbar Unheilbare heilen, das genügt! Nimm doch nicht alles so wörtlich.«
»Bin ich dann vielleicht nicht eher ein Drachenheiler?«, versuchte es Ben.
»Ach was, davon hat doch noch nie jemand was gehört. Drachenheiler! Das klingt doch dämlich. Nach einem menschlichen Beruf, den man einfach so erlernen kann. Das interessiert doch niemanden! Drachenflüsterer, die kennt man aus den alten Geschichten, da weiß jeder Drache, was gemeint ist.«
»Ja, aber wenn ich nichts flüstere, dann bin ich doch gar keiner«, gab Ben noch einmal zu bedenken, weil das alles zu schnell auf ihn einprasselte. Ich kann das scheinbar Unheilbare heilen?
»Jetzt stell dich doch nicht so an! Flüster halt irgendwas herum, während du heilst. Das muss auch keiner verstehen! Hauptsache, sie hören dein Gemurmel. Und Hauptsache, du heilst!«
»Ähm, ja, schon gut.« Alles drehte sich in Bens Kopf. Konnte er wirklich Drachen heilen? Und was sollte eigentlich gerade
dieses ganze Gerede von anderen Drachen? Wem genau sollte er vorspielen, er sei ein Drachenflüsterer?
»Und jetzt mach weiter«, forderte Aiphyron, bevor Ben diese Fragen aussprechen konnte. Langsam drehte sich der Drache wieder auf den Bauch.
Ben rutschte mit der Bewegung mit und setzte sich wieder vor den Flügelansatz.
»Soll ich dabei was flüstern?«, fragte er vorsichtshalber.
»Unsinn! Ich weiß ja Bescheid, mir musst du nichts vorspielen.«
Also sagte Ben nichts und strich mit den Händen weiter über die Drachenhaut. Jetzt dachte er bewusst daran, dass der Flügel heilen sollte, er stellte sich vor, wie dieser wuchs, und hatte das Gefühl, das Kribbeln würde zunehmen.
Kein Yanko und kein Byasso hatte ihm erzählt, dass er das Glück herüberfließen gespürt hatte, als er Feuerschuppes Knubbel gerieben hatte. Damals hatte sich Ben nichts dabei gedacht und war davon ausgegangen, dass sie dasselbe gespürt hatten wie er. Und wenn nicht? Konnte es tatsächlich sein, dass er heilen konnte und für Feuerschuppes Veränderung verantwortlich war? Dass dieses Kribbeln, dieses gemeinsame Pulsieren dem Drachen Heilung brachte und nicht ihm das Glück?
Von der Gabe, Drachen zu heilen, hatte er noch nie gehört. Im abgelegenen Trollfurt lebte niemand, der über eine außergewöhnliche Gabe verfügte, doch hatten sie auch dort genug Geschichten gehört über Menschen, in denen Magie erwacht war, so wie die
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