Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
gegenüber. Stumm ertrug er die Prügel, denn das ging immer in ein paar Minuten vorbei, und keiner von ihnen schlug auch nur annähernd so fest zu wie sein Vater. Als Sohn eines Schmieds war man abgehärtet.
Also rappelte er sich auch heute wieder von der Straße auf, nachdem die anderen sich verzogen hatten, spuckte Blut und Rotz aus und fügte ihre Namen in Gedanken auf seine Racheliste hinzu. Keinen würde er vergessen, nicht einen. Gegen einen allein konnte er verlieren, wer ihn im ritterlichen Zweikampf besiegte, dem war er nicht gram. Das gehörte eben dazu. Wer jedoch feige in der Gruppe auf ihn eintrat, der musste dafür bezahlen. Irgendwann.
Die Hände in den Taschen und den Kopf vollgestopft mit Gedanken an fürchterliche, blutige Rachetaten, schlenderte er aus der Stadt und zu den Schleierfällen. Dort setzte er sich ans Ufer, den Rücken an eine alte Zitronenweide gelehnt, und wartete.
Der Wasserfall rief seine Albträume in ihm wach, mehrmals bildete er sich einen Schemen ein, der vor der glitzernden Wand aus Tropfen hinabstürzte, und er dachte: Ben! Verdammt, es ließ ihm einfach keine Ruhe, dass er seinen Freund den Sippa entlanggeschickt hatte. »Todesklippe«, murmelte er,
und dann: »Entschuldige.« Als würde das helfen, einen solchen Sturz zu überleben.
Yanko sah nicht weiter auf die Schleierfälle, sondern starrte einfach auf die dunkle, feuchte Erde zu seinen Füßen und malte sich lieber aus, wie er zahlreiche Jungen verdrosch, einen nach dem anderen. Wenn er erst Bens Unschuld bewiesen hatte, müssten sie sich alle bei ihm entschuldigen, jeder Einzelne. Auf dem Marktplatz würden sie Schlange stehen, und er würde sie einen nach dem anderen in einem Kampfring erwarten und jedem von ihnen eine blutige Nase verpassen, während die Mädchen draußen applaudierten und ihm zujubelten. Völlig erschöpft würde er...
»Hallo Yanko«, sagte da vorsichtig eine Mädchenstimme vor ihm, und er sah auf. Es war Nica, und sie war allein gekommen.
»Hallo«, antwortete er und stand auf. Sie blickten einander an, und Yanko bemerkte zum ersten Mal, wie unglaublich schön ihre dunklen Augen waren. Fast schwarz waren sie, und doch schienen sie hell zu strahlen. Ben musste sich in diese Augen verliebt haben, auch wenn er es tausendmal bestritten hatte. Schnell und verschämt löste Yanko den Blick und irrte mit ihm über Nicas schmales, ebenmäßiges Gesicht. Dabei kam er zu dem Schluss, dass nicht nur ihre Augen schön waren. Sie war sichtlich aufgewühlt und wirkte ganz und gar nicht mädchenhaft. Das gefiel ihm, und sicher hätte auch Ben das gefallen.
»Bist du wirklich überzeugt, dass Ben unschuldig ist?«, fragte sie ganz direkt. Die Frage brach förmlich aus ihr heraus, als hätte sie schon lange in ihr gebrodelt.
»Ja«, sagte Yanko etwas enttäuscht, weil das doch wirklich bekannt war. Er würde sich doch nicht täglich verprügeln lassen, wenn er nicht überzeugt wäre. Was dachte sie sich denn?
Beinahe gleichgültig erwartete er die übliche Beschimpfung, doch diese blieb aus.
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Ben würde nie jemanden ermorden.« Und weil Nica ihn daraufhin nur ansah und nicht widersprach, fragte er: »Warum fragst du? Inzwischen weiß doch jeder, was ich denke, auch wenn es keinen interessiert.«
»Ich will wissen, wer den Ritter ermordet hat. Ich muss es einfach wissen.«
Yanko nickte und fragte wieder: »Warum?«
»Ich muss einfach.« Sie blickte zu Boden und biss sich verschämt auf die Lippen. »Ich glaube nicht, dass Ben ein schlechter Mensch ist, und schon gar nicht der Anführer einer Mörderbande oder ein Samothanbeter. Es wäre einfach schön, wenn er sich nicht mehr verstecken müsste und man den wirklichen Mörder fasst.«
Yanko starrte sie an. Ihre Wangen röteten sich leicht, während sie seinen Blick plötzlich mied. Hatte sie sich etwa in Ben verliebt, ohne dass irgendwer es bemerkt hatte? Das war doch unmöglich. Sie konnte doch jeden haben, ganz bestimmt jedenfalls eine bessere Partie, dachte Yanko kurz, aber dann fragte er sich, wer denn in diesem verfluchten Trollfurt eine bessere Partie wäre. Er hatte seine Zeit ja auch lieber mit Ben verbracht als mit den anderen Jungen aus all den respektablen Familien. »Dann lass uns doch gemeinsam den Mörder suchen.«
Sie sah wieder auf und lächelte Yanko schüchtern an. Die Flecken auf ihren Wangen verblassten langsam. »Du würdest mir helfen?«
Ȁhm, ja klar. Wobei ich das ja andersherum sehe: Ich
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