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Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten

Titel: Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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leid.«
    Nica sah auf ihre Mutter hinab, die nun stumm um Vergebung flehte. Sie weinte nicht mehr, wirkte einfach nur ruhig und leer. Kurz kam es Ben so vor, als wollte sich Nica auf die Bettkante setzen, als würde die Nadel ein Stück herabsinken, nicht drohend, sondern als würde Nica eine Waffe sinken lassen, weil der Streit vorbei war. Dann reckte sie wieder das Kinn vor. Ihre Stimme klang rau, aber fest. »Und wo finden wir den Hohen Norkham?«
    »Aber, Kind, du...«

    »Wo?«
    »Vierzinnen.« Der Name war nicht mehr als ein Flüstern, Ben konnte es kaum verstehen.
    »Vierzinnen? Das Vierzinnen?«
    Die alte Frau im Bett nickte.
    »Gut. Soll ich ihm etwas von dir ausrichten?«
    »Ich... Sag ihm, dass er... Nein. Nichts.« Resigniert ließ sie den Kopf sinken.
    »Dann lebe wohl, Frau Yirkhenbarg. Wir sehen uns nie mehr wieder.« Nica drehte sich mit erhobenem Haupt um und drückte Ben die Nadel in die Hand. Sie war feucht von Schweiß. »Pass auf, dass sie nicht nach Hilfe schreit, während ich mir noch eine Hose hole. Brauchst du auch etwas?«
    Ben zuckte mit den Schultern. Er hatte zwei Hosen und ihm ging gerade anderes durch den Kopf. Fragend starrte er Nica an, doch keine Regung zeigte sich in ihrem Gesicht. »Ein Hemd?«
    »Lässt sich machen. Wir holen dich gleich ab.«
    »Warte. Noch eine Hose wäre nicht schlecht«, fügte er noch schnell hinzu, weil ihm eingefallen war, dass er die eine, die verräterisch geflickte, nicht in Städten tragen konnte, falls dort die Steckbriefe aushingen, und die andere eigentlich überhaupt nicht, denn sie war viel zu weit. Sidhy hatte schon eher seine Statur, mit einem Gürtel würde ihm seine Hose passen.
    Als Nica gegangen war, legte er die Nadel auf die Kommode und drohte in Richtung Bett: »Ich habe ein Messer.«
    Doch Nicas Mutter beachtete ihn nicht. Mit geschlossenen Augen kauerte sie im Bett, den Kopf gegen die Wand gelehnt, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen, und murmelte vor sich hin. Ben konnte nicht erkennen, ob die
schimmernde Feuchte auf ihren Wangen neue Tränen waren. Vielleicht flehte sie Hellwah um Gnade an. Ben wusste nicht, was Ketzer in einem solchen Fall taten. Vielleicht verwünschte sie sich auch oder bemitleidete sich selbst und ihr Schicksal – das hatte seine Mutter häufig getan, bevor sie zur Flasche gegriffen hatte.
    Ben konnte sie nicht bemitleiden, er hatte das Bild der an den Opferpfahl gefesselten Nica nicht vergessen. Aber er wusste auch, dass er dieser gebrochenen Frau nicht mit einer Waffe zu Leibe rücken wollte oder sie sonst wie niederringen, also hoffte er, sie würde einfach weiter vor sich hin murmeln und nicht doch noch schreien. Misstrauisch beäugte er sie, doch sie murmelte stur weiter vor sich hin.
    Als sich die Tür wieder öffnete, trat Nica nicht ein, sondern flüsterte nur: »Komm. Yanko ist schon bei den Drachen.«
    Ihre Mutter blickte nicht auf und starrte weiter murmelnd ins Nichts, gefangen in ihrer Welt aus Schuldgefühlen und Albträumen.
    Auf dem Gang, noch bevor sie bei Yanko ankamen, packte Ben Nica an der Schulter und zwang sie, ihn anzusehen. Er fragte: »Hättest du deine Mutter wirklich erstochen?«
    Nica wandte den Blick ab.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie nach einer Weile. »Ich weiß es wirklich nicht.«

PILZE UND EIN KUSS
    A ls die ersten Vögel des Tages zu singen begannen und sich der Himmel am Horizont ganz langsam hell färbte, landeten die Drachen. Nica hatte in Trollfurt die grobe Richtung vorgegeben, und seit sie über das ausgedehnte Waldgebiet flogen, hatten die Drachen mit ihren scharfen Augen, die auch nachts viel mehr sahen als menschliche, die Gegend nach einem geeigneten Rastplatz abgesucht. Nun gingen sie an einem Bach inmitten der Bäume zu Boden. Ben vermutete in ihm einen Zubringer zum Sippa, aber er war nicht sicher. Die hohen Bäume am Ufer standen dicht beieinander, im Unterholz zeigte sich kein Pfad, nicht das kleinste Anzeichen menschlicher Zivilisation.
    Ganz in der Nähe des Bachs lag ein gutes Dutzend mehrere Schritt großer, moosbewachsener Felsen nebeneinander und übereinander, türmten sich auf bis zu den höchsten Wipfeln, bestimmt viermal so hoch wie ein einfaches Haus. Zwischen den einzelnen Brocken öffneten sich Spalten und kleine Höhlen, in denen Ben, Nica und Yanko gut auch tagsüber schlafen konnten; dort schien die Sonne nicht hinein. Es war so dunkel, dass man nicht bis in die hintersten Winkel blicken konnte.
    Yanko sammelte ein paar Stöcke vom Boden

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