Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
jeden Unsinn. Und jetzt eben auch, dass ihr drei tatsächlich sieben ausgewachsene, am besten noch bewaffnete Männer töten könntet. Ich meine, seht euch doch nur mal an. Ihr seid viel kleiner und dürrer und...«
»Ja, schon gut«, knurrte Yanko. »Wenigstens trauen sie uns etwas zu. Im Unterschied zu unserem schuppigen Freund mit dem seltsamen langen Namen.«
»Ja. Mord. Ganz toll«, brummte Ben. »Mord trauen sie uns zu. Immer ist es Mord.«
»Und bald müssen sie uns noch viel mehr zutrauen«, sagte Nica. Ihre Stimme wurde vom Gegenwind verweht, und doch war die Drohung darin deutlich zu vernehmen.
»Da wir uns dabei jedoch einen Ketzer vornehmen, haben sie wahrscheinlich nichts dagegen«, sagte Yanko. Es klang leichthin, als wäre es als Scherz oder Aufmunterung gemeint.
Nica schwieg.
»Habt ihr vorhin auch die Kälte gespürt?«, fragte Ben, um das Thema zu wechseln.
Die anderen verneinten, wahrscheinlich waren sie zu hoch geflogen. Selbst Juri verzichtete auf ausführliche Überlegungen, um was es sich gehandelt haben könnte. Inzwischen redete
er nicht mehr ganz so viel wie direkt nach seiner Befreiung. Nur manchmal musste man ihn noch bremsen, wenn plötzlich ein Satz nach dem anderen aus ihm heraussprudelte, ohne auf ein erkennbares Ziel zuzuführen. Doch sie hatten sich ebenso daran gewöhnt wie an die Anfälle Aiphyrons, ab und zu ein rotes Tier zu packen und zu schütteln und als Feuerwesen zu beschimpfen.
Ben langte in die Hosentasche und rückte den Schlüssel zurecht, der sich verschoben hatte und gegen den Oberschenkel drückte. Vielleicht sollte er ihn irgendwo einschmelzen lassen und Gold und Edelsteine verkaufen. Dann wären sie jetzt reich. Oder er ließ daraus einen Ring schmieden. Mit einem goldenen, edelsteinbesetzten Ring hätte Anula ihn nicht zurückgewiesen. Wieso machte er es immer falsch?
Und wieso dachte er schon wieder an sie, trotz aller Vorsätze, sie zu vergessen?
»Ab morgen«, murmelte er. Ab morgen würde er sie aus seinem Kopf verbannen.
Mitten in der Nacht näherten sie sich Trollfurt. Sie sprachen nicht mehr, jeder hing seinen Gedanken nach. Ben verband nicht mehr viel mit der Stadt, doch Nica und Yanko hatten noch Eltern und Geschwister hier, Freunde oder ehemalige Freunde, die nach allem nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollten. Im Dunkeln konnte Ben ihre Gesichter nicht erkennen, doch ihr Schweigen machte deutlich, dass ihnen die Heimkehr nicht leichtfiel.
Die Straßen lagen im Dunkeln unter ihnen, kaum ein Fenster war erleuchtet, und Ben erspähte nur zwei Laternen, die als Punkte zwischen den Häusern entlangwanderten. Das waren deutlich weniger als damals, als sich die Stadt von ihm
belagert gefühlt hatte. Doch als er schließlich erkannte, dass zu jeder Laterne vier Nachwächter gehörten und nicht nur einer wie üblich, war ihm klar, dass sich die Lage noch nicht völlig beruhigt hatte.
Was war geschehen, seit sie von hier verschwunden waren? Fürchtete Trollfurt noch immer irgendwelche eingebildeten Überfälle von Ben und seinen zahlreichen Spießgesellen? Wochenlang waren sie nicht hier gewesen, sondern im Nirgendwo. Sie hatten nichts mitbekommen, wussten weder was hier vor sich ging, noch was sich irgendwo sonst im Großtirdischen Reich ereignet hatte. Doch irgendetwas musste vor sich gehen, wenn man die Nachtwächter hier, Gesprächsfetzen aus Falcenzca und die Predigt des Verrückten zusammenzählte.
Flüsternd dirigierte er Aiphyron zum Anwesen von Nicas Familie. Feuerschuppe kannte den Weg, und Juri folgte ihnen. Ohne mit den Flügeln zu schlagen, glitten die Drachen lautlos dahin. Langsam senkten sie sich über die Dächer und landeten schließlich im Garten der Yirkhenbargs, ganz hinten bei der Mauer, hinter der plätschernd der Dherrn vorüberfloss. Das Gras stand hoch, es war lange nicht gestutzt worden, und die Tür von Feuerschuppes ehemaligem Stall stand offen. Sie hörten ein Pferd prusten, sonst blieb es still. Beim Anflug hatten sie keinen Wächter am verschlossenen Tor gesehen, nur ein Fenster direkt am Hauseingang war schwach erleuchtet.
»Irgendwer im Haus ist immer wach«, warnte Nica. »Also leise.«
Dann ließen sich Ben, Nica und Yanko von den Drachen auf den Balkon heben, über den sie in Nicas ehemaliges Zimmer gelangten. Beim Absteigen strich Yanko mit der Hand
kurz über Juris Flügel, wahrscheinlich dachte er, das bringe ebenso Glück wie das Berühren von Schulterknubbeln.
In Nicas Zimmer lag auch Wochen nach
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