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Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten

Titel: Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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drängten
aus der Wirtsstube. Selbst im Gesicht des Wirts zuckte es kurz, als überlegte er, sich ebenfalls auf die Suche zu machen.
    Ein junger schmächtiger Ritter, der ganz hinten im Pulk stand und sich nicht traute, die älteren Kameraden beiseitezuschieben, rief verzweifelt: »Dann möchte ich ihr die ketzerischen Drachenaugen ausbrennen, Herr Arthen! Darfich, ja? Bitte! Ich habe mich als Erster gemeldet.«
    »Das hast du. Aber die Augen werden nur denjenigen ausgebrannt, die ihren Irrglauben widerrufen.«
    »Aber jeder hat bisher widerrufen. Wer widerruft denn nicht?«
    »Sie.« Arthen lächelte. »Wir geben ihr nämlich keine Gelegenheit dazu. Schließlich wollen wir sie als unversehrte Ketzerin zum Hohen Abt schaffen. Sie soll ja noch ihr Kopfgeld wert sein, nicht wahr?«
    »Oh«, sagte der Junge. »Oh, ja. Natürlich.«
    Dann eilte er als Letzter in die Stadt hinaus, auf der Suche nach einem weißen Kleid. Keiner der Ritter hatte Nicas Maße genommen. Zurück blieben nur Arthen, Friedbart und die zwei großen bärtigen Ritter, die die Gefangenen reglos im Auge behielten.
    »Während sich die Kameraden also um angemessene Kleidung für die junge Dame kümmern«, sagte Arthen mit gespielter Höflichkeit, »zeige ich euch nun eure Unterkunft für die nächsten Tage.«
    Die Ritter bugsierten sie aus einer Seitentür des Schankraums. Der Wirt putzte noch immer beiläufig Gläser und blickte ihnen ohne die geringste Regung hinterher.
     
    Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel. Ben kauerte auf den groben Bohlen und hielt sich die Hände schützend
vor das Gesicht. Nur ab und zu schielte er zwischen den Fingern hindurch, doch eigentlich wollte er nicht sehen, was dort vorging.
    Zusammen mit Nica und Yanko saß er in einem drei Schritt langen und knapp zwei Schritt breiten Käfig, der auf der Ladefläche eines Pferdewagens befestigt war. Seit zwei oder drei Stunden stand der Wagen ohne Pferde auf dem ovalen Marktplatz mitten auf der zweiten Zinne der Stadt und wurde von den zwei bärtigen Ordensrittern bewacht. Sie bewegten sich kaum – nicht einmal ihre Gesichter zuckten, wenn eine Fliege auf ihnen landete – und sagten nichts. Nur wenn sie nach den drei Gefangenen befragt wurden – woher diese stammten, was sie verbrochen hatten -, antworteten sie schlicht: »Samothanbeter.«
    Eine überreife Wasserbirne zerplatzte an Bens Ohr, und das matschige Fruchtfleisch drang ihm in den Gehörgang und tropfte seinen Hals hinab, sein eingerissener Hemdkragen war schon vollkommen von der klebrigen Feuchte zahlloser Früchte durchweicht. Ein paar kleine schwarze Kerne rieselten zu Boden.
    »Schäm dich!«, brüllte eine alte Frau mit eingefallenen grauen Wangen, und das blonde Mädchen an ihrer Hand, höchstens acht Jahre alt und wahrscheinlich ihre Enkelin, spuckte nach Yanko, kam aber nicht weit genug, weil sie sich nicht bis ganz an den Käfig herangetraut hatte. Als säßen wilde Tiere darin.
    »Komm, versuch es noch mal«, ermunterte die Alte sie und schob sie ein Stück vor.
    Ben sah, wie Yanko stumm die Augen schloss.
    Sie waren die Sündenböcke für alles. Ben kannte das aus Trollfurt, doch noch nie hatte er sich so elend gefühlt; dort
war er nie hinter Gittern gewesen, wenn die anderen ihn gepiesackt hatten. Stets hatte er noch seine Freiheit gehabt. Sobald er seine Abreibung bekommen hatte, hatte er nach Hause schleichen und seine Wunden lecken können. Er hatte sich wehren können, egal, wie hoffnungslos es gewesen war. Und trotz allem hatte er doch zu ihnen gehört. Nie war es tatsächlich um sein Leben gegangen.
    Hier hingegen waren sie Fremde, namenlose Eindringlinge von irgendwo, an denen man sich straflos abreagieren konnte. Für die tief sitzende Wut auf die selbstherrlichen Ordensritter, die man herunterschlucken musste, für das schmerzhafte Ausbrennen der Drachenaugen, das man erduldet hatte, für die Toten vor dem Tor, für das Gefühl der Ohnmacht, wenn man seinem Glauben abschwören musste, für einfach alles, was in den letzten Tagen geschehen war. Und dabei konnte man den Ordensrittern zugleich beweisen, dass man wirklich konvertiert war, dass die Feinde des Ordens nun auch die eigenen Feinde waren.
    Wutverzerrte Gesichter schrien und spuckten sie an, übermütige junge Männer bewarfen sie mit Obst, denn sie machten ein Spiel daraus, wer aus größter Entfernung noch immer einen Kopf traf. Selbst Steine waren nach ihnen geschleudert worden, doch als Yanko heftig aus einer Platzwunde über dem

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