Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
auch eine kleine Flamme in der Kehle gurgelte. Sehen konnte er es nicht, der Käfig lag außerhalb des Feuerscheins, nur der Schwanz und die Hinterbeine des Drachen wurden von den Flammen angestrahlt.
»Hellwah, hilf«, jammerte Friedbart noch immer und immer wieder von Neuem, und er schluchzte, soweit das über die Entfernung zu verstehen war.
Ben erinnerte sich an seine eigene Angst, als er Aiphyron das erste Mal getroffen hatte. Dennoch spürte er Verachsung für die beiden in sich aufsteigen. Immerhin waren sie Ritter des Ordens, die sich einem Drachen angeblich im Kampf stellten. Wo war ihre viel besungene Tapferkeit? Oder kannten sie die nur, wenn sie von hinten aus einem Versteck brachen?
»Aber du hast doch eben selbst festgestellt, dass ich spreche«, führte Aiphyron mit ruhiger Stimme aus. »Wie kannst du da gleichzeitig behaupten, ich könnte es nicht? Widerspricht sich das nicht?«
»Samoth! Samoth spricht aus dir!« Der Schrei des Ritters ging in ein Japsen über. »Es sind die Worte des großen Täuschers, die ich vernehme. Ich werde ihnen nicht glauben. Nichts werde ich dir glauben.«
»Das musst du auch nicht, das verlangt keiner. Wichtig ist im Augenblick nur das Gegenteil, nämlich dass ich dir glaube.« Aiphyron ließ ein kurzes belustigtes Schnauben hören.
Friedbarts gemurmelte Bitten an Hellwah wurden immer leiser und verloren sich schließlich in der Nacht, wurden vom Plätschern des Bachs verschluckt.
»Ich sage nichts, ich sage gar nichts!«, rief der weiße Ritter, in dem plötzlich Trotz zu erwachen schien.
»Und wenn ich dich ganz lieb bitte?«, fragte Aiphyron mit so leiser Stimme, dass sie am Feuer kaum zu vernehmen war. Er kroch noch ein Stück auf den Käfig zu, so dass seine Schnauze nun die Gitterstäbe berührte.
Was er nun sagte, konnte Ben nicht mehr verstehen, auch
die Antwort des Ritters nicht. Doch dass er antwortete, war zu hören; erst stockend, dann sprach er schneller und schneller, hechelte fast panisch von Satz zu Satz, von Aussage zu Aussage. Nur manche Worte drangen deutlich bis zum Lagerfeuer, die meisten lauteten nicht, nein, bitte, andere und schuld.
Am Feuer wurde kein Wort gesprochen. Alle lauschten stumm in die Nacht, in der Hoffnung, doch noch etwas zu verstehen. Immer wieder schielte Ben zu Nica, in deren versteinerten Mundwinkeln immer dann ein Lächeln zuckte, wenn sich die Stimme des Ritters voller Furcht erhob.
Nach einer langen Weile kam Aiphyron zu ihnen herüber. »Er hat keine Ahnung, wo der Ketzer ist. Er vermutet, dass er in die Berge geflohen ist, denn dort gibt es zahlreiche Verstecke. Dorthin flieht jeder, der nichts zu verlieren hat, sagt er, denn die Berge sind gefährlich, nur die wenigsten Verfolger wagen sich dort weit hinein. Unter den Bergen hausen kleine, grünhäutige und kahlköpfige Gnome, die sich am Tag ihrer Mann- oder Frauwerdung selbst furchtbare Zähne aus Granit hauen und sie sich statt der kindlichen Eckzähne einsetzen. In den schwärzesten Nächten kommen sie aus ihren Höhlen gekrochen und fressen Menschen im Schlaf, denen sie zugleich mit einem bösen Zauber so tiefe Träume schenken, dass sie nicht erwachen. Diese Träume abzuschütteln, gelingt nur den wenigsten, und nicht selten ist bis dahin schon ein halbes Bein gegessen oder ein Arm. In schlimmen Fällen erwacht der Wanderer mit einem tatsächlichen Loch im Bauch oder nur einem halben Kopf auf den Schultern.«
»Ein halber Kopf, pah! Das ist doch Unsinn!«, motzte Nica.
Yanko lachte, doch es war nicht klar, worüber.
»Natürlich ist das Unsinn«, fuhr Aiphyron fort. »Doch irgendwer
glaubt es, und vielleicht gibt es dort tatsächlich irgendwelche Gnome, die nicht sonderlich freundlich sind. Tatsache bleibt, dass die Berge jenseits der ersten Kette gemieden werden. Aber nicht vom tapferen Orden, wie mir der Ritter versicherte. Zwei Tage lang hat dort ein halbes Dutzend Ritter vergeblich nach irgendwelchen Spuren Norkhams gesucht, bevor sie wieder nach Vierzinnen zurückkehrten, um weitere Ketzer zu befragen. Doch die meisten hatten ihrem Glauben bereits abgeschworen, und neue Glaubensbrüder konnte man ja schlecht in einen Kerker werfen oder gar foltern, und so erhielten sie nur bedauerndes Schulterzucken zur Antwort.
Übrigens heißt der Kerl Zendhen, ich habe ihn gefragt. Auch was sie mit dem Drachen gemacht haben, kann er nicht mit Sicherheit sagen. Er weiß nur, dass dieser von vier Rittern aus der Stadt geschafft wurde. Entweder zum Hohen Abt
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