Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
wurden, müssen wir trotzdem beide finden. Beide!«
»Dann lass uns mit dem Drachen anfangen.«
»Warum? Auch wenn dir der Drache wichtiger ist, ich will den ach so Hohen Norkham zuerst winseln sehen. Verstehst du das?« Herausfordernd schob sie das Kinn vor.
»He, ihr zwei«, sagte in diesem Moment Yanko und trat zwischen sie. Er legte jedem einen Arm um die Schulter. »Hört auf zu streiten. Je mehr wir wissen, umso besser, das wird auch Ben zugeben. Doch ich glaube nicht, dass wir dazu das Messer brauchen. Was suchen wir?«
»Antworten«, brummte Nica.
»Einen Drachen und einen Ketzer«, sagte Ben im selben Moment.
»Alles richtig. Aber betrachtet es mal anders: Was wir von den beiden Rittern erfahren wollen, ist die Wahrheit. Mehr können sie uns nicht sagen. Hauptsache, sie verschweigen uns nichts.« Lächelnd schob er die Hand in die Hosentasche und zog einen kleinen Beutel hervor. »Und die Wahrheit erfahren wir mit Pilzen.«
»Aber das sind heilige Seherpilze. Die sind nicht für Gefangene!«, protestierte Nica. Die Hand mit dem Messer hing unentschlossen herab, während Ben seinen Freund zweifelnd anstarrte, überrascht von dem Vorschlag. Dass man jemanden auf diese Weise zum Sprechen brachte, davon hatte er noch nie gehört. Glaubte Yanko wirklich an die Wirkung der Pilze, oder wollte er nur Nica bremsen?
»Wer sagt das?«, fragte Yanko.
»Das macht eben niemand«, beharrte Nica, die sich wohl Ähnliches fragte wie Ben. »Niemand hat so einen Unsinn je versucht.«
»Dann wird es Zeit, dass es jemand tut.« Noch immer lächelte Yanko. »Man muss schließlich nicht immer alles so machen wie alle, oder?«
»Nein.« Kurz zuckte es um Nicas Mundwinkel, dann hellte sich ihr Gesicht mit einem Mal auf. »Aber du hast Recht, das könnte wirklich klappen. Lass es uns bei einem ausprobieren.«
Ben nickte, obwohl er nicht überzeugt war. Weder von der Wirkung der Pilze noch davon, dass die Ritter überhaupt etwas wussten. Sonst hätten sie den Ketzer doch sicher längst selbst gefangen. Doch Yanko hatte in einem Recht: Man musste etwas ausprobieren, bevor man wirklich wusste, ob es funktionierte.
»Wir nehmen den dämlichen Friedbart«, bestimmte Nica und entzündete eine Fackel im Feuer, damit sie beim Käfig auch ausreichend Licht hatten. »Wenn er redet, können wir auch Zendhen einen Pilz geben. Wenn nicht, bleibt uns noch immer das Messer.«
Doch sie griffen schon früher zum Messer, denn Friedbart weigerte sich vehement, eine halbe Pilzkappe zu schlucken. Er schrie und jammerte, sie wollten ihn vergiften und töten. Erst versuchten sie es mit Beschwichtigungen und Vernunft, doch das half nichts. Dann drohten sie ihm mit der Klinge, doch auch das brachte sie nicht weiter.
»Bitte nicht, bitte nicht. In Hellwahs Namen, lasst mich leben«, flehte Friedbart auf Knien. Dann presste er wieder die Lippen aufeinander, als hätte er Angst, sie würden ihm den Pilz einfach in den geöffneten Mund werfen.
Zendhen saß derweil schweigend, reglos und mit gesenktem Kopf in einer Ecke des Käfigs und versuchte, nicht die geringste Aufmerksamkeit zu erregen. Immer wieder linste er zu ihnen herüber, doch sagte er nichts und rührte sich nicht.
»Der Pilz ist harmlos, wie oft denn noch?«, schrie Yanko schließlich, biss ein Stück von der Pilzkappe ab, kaute es langsam und schluckte es schließlich mit vorgerecktem Hals deutlich erkennbar herunter. Dann riss er den Mund auf, streckte die Zunge heraus und zeigte dem Ritter seine leere Mundhöhle. »Siehst du? Harmlos! Du feiger, winselnder Kniekriecher!«
»Harmlos?«
»Harmlos und lecker. Also lang zu!« Yanko warf die angebissene Pilzkappe in den Käfig.
Zögernd hob Friedbart sie auf und drehte sie in den Händen. Mit einem ängstlichen Blick auf Nica, die noch immer das Messer fest umklammerte, schob er ihn sich zwischen die Lippen. Er kaute kaum, sondern schluckte den Pilz mit zusammengepressten Augen im Ganzen herunter. Dann murmelte er: »Hellwah, hilf.«
»Und? Schmeckt’s?«, fragte Yanko freundlich.
»Ähm, ja«, antwortete Friedbart und öffnete die Augen. Er strich sich prüfend mit der flachen Hand über den Bauch, drückte mal hier, mal da, als erwarte er jeden Augenblick einsetzende Schmerzen. Doch als diese ausblieben, fiel ihm offenbar ein, dass er Hunger hatte, obwohl er vor nicht allzu langer Zeit gegessen hatte. »Könnte ich noch mehr haben?«
»Später vielleicht«, sagte Yanko, und dann warteten sie darauf, dass die Wirkung des
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