Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
einfach, wie du auf Aiphyron getroffen bist«, forderte ihn Kaedymia auf. »Und was euch hierher
verschlagen hat. Aiphyron wird wohl noch eine Weile brauchen.«
Ben begann zu erzählen. Er ließ sich Zeit und fragte nicht, warum Kaedymia davon nicht wusste, wenn er doch angeblich alles im Wind hören konnte. Doch wahrscheinlich wäre alles tatsächlich zu viel, um es zu verkraften, und er lauschte nur hier und da, während zahllose ferne Worte, Sätze und Geschichten unbeachtet an ihm vorbeirauschten. Also berichtete Ben von ihrer Jagd nach dem Ketzer, dem Kampf gegen den Orden und ihrem Schwur, einen Drachen zu befreien. Auch von dem Streit mit Nica und Yanko sprach er, doch er versuchte, die beiden nicht schlecht aussehen zu lassen, betonte, dass auch sie sich um das Wohl der Drachen sorgten. Als die Sonne unterging, entfachte Ben ein Feuer. Nun war es zu spät und zu dunkel, um sich auf die Suche nach dem Turm zu machen.
Stundenlang blieb Aiphyron verschwunden. Als Ben schließlich tief in der Nacht die Hände in seine Hosentaschen steckte und dort auf den Schlüssel aus der Ruine stieß, setzte er an, auch von diesem unwichtigen Detail ihrer Abenteuer zu erzählen, doch er kam nicht weit. Mit einem selbstzufriedenen Grinsen landete Aiphyron direkt neben ihnen.
»Endlich«, rief Ben. »Wo warst du so lange? Was hast du mit ihr gemacht?«
»Ich habe ihr Pfeilkatapult in kleine Stücke zerrissen und ins Meer geworfen. Auch die Pfeilspitzen aus Blausilber. Dann habe ich den Turm dem Erdboden gleichgemacht und ihre Möbel mit meinem Feuer in Brand gesetzt, damit auch ja nirgendwo ein versteckter Konstruktionsplan heil blieb.«
»Und mit ihr? Was hast du mit ihr gemacht?«
»Na, verbannt. Was denn sonst? Ich dachte, das hat sich einmal
bewährt, das wäre das Beste. Also habe ich ihr eine schöne fruchtbare Insel weit draußen auf dem Meer ausgesucht, auf der sie genug Wasser und Früchte findet, jedoch keine Steine, um einen Turm zu errichten. Und kein Blausilber.«
»Hat sie sich gewehrt?«
»Ein wenig. Aber vor allem hat sie mir versichert, sie würde mich nicht heiraten, unter keinen Umständen.«
Die Frau scheint mehr verwirrt als verbittert zu sein, dachte Ben, auch wenn sie noch klar genug im Kopf war, um einen fliegenden Drachen mit einem Pfeil zu treffen. Er war froh, dass sie dazu nun nicht mehr in der Lage war. Froh, dass sie von ihrem Weg auf der Erfüllung des Schwurs abgewichen waren. Froh, dass sie Kaedymia geheilt hatten.
»Magst du mir diesen interessanten Schlüssel mal zeigen?«, fragte der gerade und lächelte Ben an.
»Welchen Schlüssel?«, entgegnete Ben, in Gedanken noch immer bei der besessenen Gujferra.
»Dem, von dem du mir eben erzählt hast.«
Verwundert zog Ben den großen goldenen Schlüssel aus der Tasche, der im Licht des Feuers schimmerte. Kurz wischte er mit dem Ärmel über die roten Augen des Drachenkopfs, zu dem die Räute geformt war. Dann drückte er ihn Kaedymia in die Klaue.
»Tatsächlich.« Der Drache lächelte versonnen. »Es ist ewig her, seit ich zum letzten Mal einen gesehen habe. Jahrhunderte. Ich dachte, sie wären längst alle verloren oder zerstört.«
»Du kennst den Schlüssel?« Ehrfürchtig sah Ben den Drachen an, der beinahe beiläufig über eine Zeitspanne von Jahrhunderten sprach.
»Der alte Kerl weiß einfach alles«, brummte Aiphyron mit gespieltem Missmut und schüttelte den Kopf. »Immer eine
ewig alte Geschichte auf Lager, was? Aber ich hab doch gesagt, dass ich das Ding irgendwoher kenne. Auch ich weiß so manches.«
»Ja, hast du«, bestätigte Ben beiläufig.
»Wenn wir gerade über dich und Wissen reden«, wandte sich Kaedymia lächelnd an Aiphyron. »Hast du eigentlich inzwischen mehr über deine Herkunft erfahren? Das ist noch etwas, das ich nicht weiß und das mich brennend interessiert.«
»Brennend. Sehr witzig«, knurrte Aiphyron, der im Unterschied zu den meisten Drachen nicht wusste, worin er herangewachsen war. Die erste Erinnerung, die er in sich trug, war die an furchtbare, stechende Schmerzen, und als er die Augen aufgeschlagen hatte, hatte er in einer mit grauer Asche überzogenen Ebene gelegen. Weißer Staub hatte wie Nebel in der Luft gehangen. Irgendein Feuer musste seinen Herkunftsort verbrannt haben, kurz bevor er schlüpfen wollte.
Wie auch Kaedymia hatte er keine normale Geburt gehabt, überlegte Ben, vielleicht war das der Grund, weshalb sich die beiden so verbunden fühlten. Doch im Augenblick interessierte ihn
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