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Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten

Titel: Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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ausgemergelte Gesicht des Predigers wandern und bemerkte, dass ein weißer Schleier auf seinen geöffneten Augen lag; er war blind. Dennoch hob er den Kopf und stierte Ben mit seinem toten milchigen Blick direkt an; er musste sich an Bens Schritten orientieren.
    »Ja, lauf nur, du erbärmlicher Sünder, lauf«, höhnte er plötzlich mit dünner, krächzender Stimme. »Es wird dir nichts nützen, du wirst deiner Furcht nicht entkommen. Denn das Ende ist nah. Dein Ende.«
    Ben hastete vorbei, erwiderte aber nichts. Zu sehr hatten ihn die Worte überrascht, zu trocken war mit einem Mal sein Mund.
    »Lauf.« Der Prediger ließ ein hustendes Lachen hören,
schäumender Speichel floss ihm aus dem Mundwinkel. »Lauf, du kleiner Hase. Lauf, wenn du so einfältig bist zu glauben, es sei noch nicht zu spät.«
    Immer schneller eilte Ben weiter. Was wusste der Kerl schon? Das war nur ein verrückter blinder Spinner, er hatte ihn gar nicht sehen können und schon gar nicht erkennen. Nichts wusste er über Ben! Er hätte jedem dasselbe hinterhergeschrien. Doch richtig wohl fühlte Ben sich bei dem Gedanken nicht.
    Wer war dieser Bettler an den Stallungen gewesen? Wer bettelt, tat dies gewöhnlich dort, wo viele Menschen waren. Warum saß er also nicht vor dem Stadion, sondern in einer verlassenen Gasse direkt gegenüber des verhüllten Drachenstalls?
    Ben sah sich um, ob ihm jemand folgte, doch er bemerkte niemanden, nicht einmal einen Schatten. Eilig lief er aus der Stadt und immer weiter. Aiphyron würde ihn beobachten und abholen, sobald es dunkel würde, so hatten sie es abgemacht. Am besten würde Ben wieder zu der kleinen Mulde laufen, in der der Drache ihn heute früh abgesetzt hatte.
    Als er an der aufgeschütteten Terrasse vorbeihastete, erkannte er, dass zwölf Galgen errichtet worden waren. Zwölf wie in Vierzinnen. Wartend baumelten die Stricke in der sanften Brise, die noch immer vom See herüberzog. Auf einem Galgen saß ein Nachtadler und krächzte. Es klang wie eine Klage.
    Oder eine Warnung.
    Im Laufschritt folgte Ben der Straße an der Terrasse vorbei und stürmte bald darauf querfeldein. Fort, nur fort. Er hoff te, die Sonne würde bald untergehen.

KETZERJAGD
    Y anko und Nica hatten einen Platz weit oben auf dem zersplitterten Berg ergattert, nur ein Dutzend Schritt vom Ziel der Jagd durch den Reinen Bach entfernt. Für jemanden wie Yanko, der am Fuß des Wolkengebirges aufgewachsen war, war es ein kleiner Berg, fast nur ein Hügel, doch erhob er sich deutlich über die Ebene und die mehr als tempelgroßen Hügel in seinem Rücken.
    Zahlreiche Menschen drängten sich um und hinter Yanko und Nica, die ganz nahe am Ufer standen, denn jeder wollte einen guten Blick auf den Bach haben. Schon vor Sonnenaufgang waren sie auf dem Berg gewesen, Juri und Feuerschuppe hatten sie auf der Chybhia abgewandten Seite abgesetzt und wollten sich mangels passender Verstecke in der Umgebung lieber weit weg die Zeit vertreiben. Nach Sonnenuntergang würden sie sie wieder abholen.
    Beinahe ganz oben auf dem zersplitterten Berg entsprang eine Quelle, die der Überlieferung nach der Sonnengott Hellwah selbst aufgetan hatte, indem er einfach mit dem Fuß auf den Boden gestampft hatte. Dabei war jedoch auch der Berg entzweigebrochen. Warum Hellwah aufgestampft hatte, wusste Yanko nicht, aber er war überzeugt, dass jeder Gott im Lauf seines ewigen Lebens schon genug Gelegenheiten bekommen würde, zornig zu werden oder seine Macht demonstrieren zu müssen.
    Kühl und wild und in großer Menge sprudelte das Wasser aus der Quelle, stürzte als zwei bis drei Schritt breiter Bach
bis in die Ebene hinab und floss dort in sanften Windungen zu Hellwahs Spiegel hinüber, der etwa zehn Meilen entfernt lag. Von dort würden die Athleten kommen. Sie sprangen von der äußersten Brücke der Stadt ins Wasser, schwammen etwa eine Meile um die Wette, bis zu der Stelle, wo sich der Bach in den See ergoss, und stürmten diesen dann bis zur Quelle hinauf. Wer sie als Erster erreichte, war der Sieger und wurde zum Drachenreiter ernannt, sofern er diesen Titel noch nicht trug. Und ihm wurde ein Drache geschenkt, in diesem Jahr Norkhams Drache.
    Die Jagd im Reinen Bach war ein seltsames Rennen, das seinen Ursprung in einem überlieferten Ereignis aus den Gründungstagen Chybhias hatte.
     
    Damals war das Land noch wild und gefährlich gewesen, Trolle hausten auf dem zersplitterten Berg. Der erstgeborene Sohn des Stadtfürsten, noch keine sieben Jahre alt,

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