Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
ab, die ein schwarzes Zwerghuhn vor sich her jagten.
Als Ben das Stadion zur Hälfte umrundet hatte, erreichte er die angrenzenden Stallungen, die ebenfalls aus dem glatten Kalkstein errichtet waren. Zwischen dem ersten Gebäude
und dem Stadion hindurch konnte er einen Blick auf den gleißenden See werfen. Er bedauerte, keine Zeit zum Angeln zu haben, hier mussten herrliche Fische beißen.
Ben ließ das erste Stallgebäude links liegen, aus ihm drang das Schimpfen einer jungen Frau und das Wiehern und Schnauben von Pferden. Die Fenster waren alle gleich hoch und regelmäßig über die Außenwand verteilt.
Der zweite Gebäudekomplex wirkte dagegen seltsam zusammengewürfelt, die aneinandergrenzenden Boxen varüerten in der Größe ebenso stark wie Drachen, und das spiegelte sich auch in der Außenwand und in der massiv schwankenden Dachhöhe wider. Doch alle wiesen ein vergittertes Fenster auf, und in jede warf Ben einen kurzen Blick, während er gemütlich daran vorbeischlenderte, als wäre er jemand mit sehr viel Zeit, der nichts Bestimmtes suchte.
Viele Boxen waren belegt, flügellose Drachen in den unterschiedlichsten Größen und Farben lagen faul auf dem Boden herum, und nur die wenigsten hoben den Blick. Auch derart gestutzt waren es noch immer wunderschöne, erhabene Wesen, doch Ben schmerzte der Anblick der vernarbten Schulterknubbel, aus denen einst Flügel gewachsen waren, und der der matten, dumpfen Augen. Vielleicht lag es auch am dämmrigen Licht im Stall, doch eigentlich war sich Ben sicher, dass Aiphyrons, Juris und Feuerschuppes Augen viel lebendiger strahlten.
Tiefe Schwermut ergriff ihn, denn ihm wurde bewusst, dass er sie nicht alle befreien konnte, es waren zu viele.
Viel zu viele.
Nie war ihm so deutlich klar gewesen, welche Menge Drachen der Orden und die Ketzer im Glauben an Hellwah und alte Legenden bereits versklavt hatten. Er knirschte mit den
Zähnen und sog die Luft scharf durch die Nase ein, um nicht zu weinen.
»Mädchen«, flüsterte er und presste mit aller Gewalt die Augen zusammen. Erfolgreich, nicht eine Träne floss.
Nicht unweit des Endes der Stallungen war das Fenster einer großen Box mit dichtem schwarzen Stoff verdeckt. Dahinter musste sich der Gesuchte befinden – oder ein Drache, der kein Sonnenlicht vertrug, aber davon hatte er noch nie gehört. Er eilte hinüber.
Vorsichtig blickte Ben nach rechts und links, doch es war niemand zu entdecken. Er lauschte am Vorhang und vernahm regelmäßiges Schnaufen, aber das konnte auch aus einer Nachbarbox stammen. Er musste einfach wissen, wie der Drache aussah!
Ohne nachzudenken, griff er nach dem Stoff hinter dem Gitter und versuchte, ihn zur Seite zu schieben. Er war dick und schwer und schien sich unten irgendwo verhakt zu haben, denn er ließ sich nur ein Stück weit heben. Ben hielt kurz inne, um es mit einem Ruck zu versuchen.
Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden, und drehte sich langsam um. Die Straße, die an Stadion und Stallungen vorbeiführte, war noch immer verlassen, doch in einer unscheinbaren Gasse schräg gegenüber saß ein in Lumpen gewandeter Mann im Schatten und starrte herüber. Ein Bettler, dachte Ben, doch dann hatte er den Eindruck, dass er dafür zu gut genährt wirkte und sein Blick zu forschend auf Ben gerichtet war. Langsam ließ er den Stoff los.
»Ich komme wieder«, murmelte er, aber aus Furcht, der Bettler oder ein Stallbursche könnten es hören, nur so leise, dass es mit Mühe gerade bis an seine eigenen Ohren drang und ganz sicher nicht hinter den Vorhang.
Die Anspannung wich von dem Bettler, er stierte wieder scheinbar unbeteiligt zu Boden. Irgendwas stimmte hier nicht.
Ohne sichtbare Hast ging Ben weiter, blickte noch in die eine oder andere Box, doch seine ganze Aufmerksamkeit galt der Straße hinter sich. Angespannt wartete er darauf, dass Schritte herbeieilten, doch nichts dergleichen geschah. Schließlich schlug er den Weg zum Stadttor ein. Der Lärm des Stadions verblasste immer mehr, laut klangen nur seine eigenen Schritte in den verlassenen Straßen. Unbewusst wurde er immer schneller.
Als er eine Kreuzung erreichte, bemerkte er einen erschöpf ten Mann in einer zerlumpten Kutte, der auf dem Boden saß und den einen Arm auf eine schäbige Holzkiste gelegt hatte. Eine dieser Kisten, auf denen die Weltuntergangsprediger zu stehen pflegten. Dieser hier schien zu dösen und auf die Rückkehr seines Publikums zu warten.
Ben ließ den Blick über das zerfurchte,
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