Der Drachenthron: Roman (German Edition)
flogen, sodass Hunderte von Metern sie trennten und nicht alle auf einmal von Angreifern überrascht werden konnten. Dies war wohl Jaslyns Art, ihnen mitzuteilen, dass sie in Gefahr schwebten. Sie erhoben sich erneut in die Lüfte. Jostan schoss hoch in den Himmel, während Semian tief flog und Prinzessin Jaslyn irgendwo zwischen ihnen schwebte. Die Position in der Mitte war der sicherste Ort der Formation, doch die anderen mussten sich gleichzeitig blindlings darauf verlassen, dass ihre Augen jegliche Gefahr unverzüglich bemerkten. Semian versuchte, diesen Gedanken beiseitezuschieben, und konzentrierte sich auf den holprigen Pfad, der zur Feste der Alchemisten führte. An manchen Stellen war er fast nicht zu erkennen, verschwand in bewaldeten Tälern, schlängelte sich über glatte Steinplateaus und drängte sich unter uneinsehbaren Gebirgsvorsprüngen hindurch, als sei er absichtlich so gestaltet worden, dass er nur schwer zu finden und fast unmöglich zu verfolgen war.
Am späten Nachmittag führte der Weg Semian über einen hohen Pass und wieder hinab in eine saftig grüne Talebene. Ein abgelegenes Dorf lag unter ihm, schmiegte sich auf der einen Seite an einen rauschenden Fluss und war auf der anderen von Feldern mit weidendem Vieh umschlossen. Der Pfad folgte dem Fluss, vorbei an dem Dorf, und tauchte in ein breites Waldstück ein. Die Talhänge wurden steiler und rückten immer enger aneinander, bis Semian zwischen zwei vollkommen senkrechten Gesteinswänden flog, die nur noch hundert Meter voneinander entfernt lagen. Die rissigen und von kraterförmigen Löchern durchsetzten Felsklippen waren mit schwarzen und dunkelgrün schimmernden Flechten bewachsen. Winzige, schäumende Wasserrinnsale perlten über den Klippenrand und zerstoben am zerklüfteten Gestein in einem Sprühregen aus Gischt und Dunst. Aus ausnahmslos jedem Spalt reckten sich verkrüppelte Bäume und Büsche dem Tageslicht entgegen.
Die Felswände kamen stetig näher, und Semian konnte Matanizkans wachsende Unruhe spüren. Sie hasste es, in einer solch beengten Umgebung zu fliegen.
Auf einmal schloss sich die Gesteinslücke vollkommen. Am Fuß des Berges, wo die Felswände zusammentrafen, war eine Anhäufung von Steinbauten zu sehen, die sich in loser Anordnung an den steilen Abhang drängten. Hier und da konnte Semian Höhleneingänge ausmachen, schwarze Spalten, die in völlige Dunkelheit zu führen schienen. Der Fluss verschwand in einer von ihnen. Daneben befand sich das Drachennest, klein, aber unverkennbar. Kein einziger Drache war zu sehen.
Matanizkan schoss senkrecht nach oben. Es gab keinen anderen Weg. Die Gesteinswände schienen wie wild herumzuwirbeln, als der Drache einen Looping an den Fels – klippen machte. Einen Moment lang hing Semian kopfüber im Sattel. Dann tauchte das Tier auch schon wieder zur Talsohle ab. Semian biss die Zähne zusammen und packte die Zügel. Irgendwie gelang es Matanizkan, trotz der Enge die Flügel auszubreiten und das Gleichgewicht wiederzuerlangen, während ihre Klauen über den Fels – boden kratzten.
»Runter«, befahl Semian, und Matanizkan schien beinahe dankbar zu sein, endlich landen und wieder Atem schöpfen zu dürfen. Semian blieb im Sattel sitzen und ließ sie langsam zurück zur Talhöhe schreiten, hinauf zum Drachennest. Als er dort ankam, warteten bereits mehrere Alchemisten auf ihn. In ihrer Nähe standen auch Soldaten, und einige Skorpionbolzen zeigten in seine Richtung. Verhalten stieg Semian ab, hob den Kopf und suchte Jostan und Prinzessin Jaslyn, entdeckte jedoch keinen der beiden. So umringt von den Steinwänden konnte er sowieso nicht viel vom Himmel sehen.
»Reiter Semian im Dienste von Königin Shezira«, rief er. Die Soldaten entspannten sich, als er vom Drachen wegtrat. Einer der Alchemisten näherte sich.
»Keitos, Alchemist zweiten Grades.« Er verbeugte sich.
»Verzeiht, Reiter. Wir wussten nichts von Eurem Kommen, und wir leben in schwierigen Zeiten.«
Semian war nicht sicher, was Keitos damit meinte, fragte jedoch nicht nach. Sie entfernten sich ein paar Schritte von Matanizkan. »Ich bin die Eskorte von Prinzessin Jaslyn. Es gibt noch einen zweiten Drachenritter. Reiter Jostan. Sie werden in Kürze ankommen.« Er rang sich ein Grinsen ab. »Ein interessanter Nesteingang.«
Keitos nickte ernst. »Ihr habt zweifelsohne eine ungewöhnliche Landung hingelegt. Das ist wohl Euer erster Besuch. Dieser Ort bereitet Drachen gewisse Schwierigkeiten. Das ist einer der
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