Der Drachenthron: Roman (German Edition)
hölzerne Steg endete unvermittelt, und eine Stimme erscholl in der Düsternis über ihnen.
»Wer seid Ihr?«
»Reiter Semian, Reiter Jostan und Ihre Hoheit Prinzessin Jaslyn, im Dienste von Königin Shezira«, rief Semian. Seine Stimme hallte von den Höhlenwänden wider.
»Haltet die Lampen hoch, damit wir Eure Gesichter sehen können.«
Jaslyn hob ihre Laterne. Am liebsten hätte sie den Dummköpfen, die sie aufzuhalten wagten, eine scharfe Erwiderung entgegengeschleudert, aber sie riss sich zusammen. Sie war müde, hungrig, hatte sich bei all den unzähligen Stürzen blaue Flecken und Schürfwunden zugezogen, und die Verbrennung in ihrem Gesicht schmerzte.
Der Geruch nach Rauch wurde stärker.
Im nächsten Augenblick tauchten Lichter über ihnen auf, und Jaslyn konnte einen Haufen Soldaten in voller Rüstung auf einer hölzernen Plattform ausmachen. Sie warfen eine Strickleiter herab. Als Jaslyn oben ankam, bemerkte sie, dass es sich nicht um irgendwelche Soldaten handelte – es war die Adamantinische Garde.
»Eure Hoheit.« Der Hauptmann verbeugte sich. »Ich werde einen Mann vorausschicken, damit es keine weiteren Missverständnisse gibt.« Damit meinte er wohl, dass die anderen Wachen über ihr Kommen verständigt wurden.
»Wie viele Soldaten der Garde sind hier?«, fragte sie.
Der Hauptmann verbeugte sich erneut. »Vor dem Angriff waren wir fast hundert Mann, Hoheit. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«
» Hundert ? Warum seid Ihr dann noch hier und nicht draußen und kümmert Euch um die Drachen? Es sind doch bloß zwei!«
»Eure Hoheit, wir haben gekämpft, aber der Reiter auf dem weißen Drachen war sehr gewitzt, und der schwarze Drache …« Er nahm einen tiefen Atemzug. »Eure Hoheit, es gab keinen Reiter auf dem Kriegsdrachen. Wir haben einen Schutzwall aus Schilden gegen das Feuer gebildet, aber sie sind nicht in der Luft geblieben. Der schwarze Drache ist gelandet und hat unsere Mauer zerstört. Er hat uns mit Zähnen, Klauen und seinem tödlichen Schwanz angegriffen. Wir haben zwischen einem Drittel und der Hälfte unserer Männer eingebüßt.«
»Ich habe dort draußen drei Drachen.«
Der Hauptmann schüttelte den Kopf. Er sagte kein Wort, aber seine Augen bedeuteten ihr, dass es für ihre Drachen keine Hoffnung mehr gab.
»Was ist los, Hauptmann?«
Der Soldat seufzte. »Eure Hoheit, Eure Drachen sind jetzt bei den anderen. Sie versuchen, uns auszuräuchern.«
58
Das Messer an der Kehle
M anchmal hatte Jehal das Gefühl, er müsse platzen. Manchmal war er von seiner eigenen Gerissenheit schier überwältigt. Er hatte beide, Hyram und Shezira, gegeneinander ausgespielt, und sie wussten immer noch nicht, wie ihm das gelungen war.
Er kleidete sich mit Bedacht. Zwei Lagen. Die obere ließ ihn wie eine Wache der Adamantinischen Garde mit ihrem schweren, gesteppten Umhang in den auffälligen Farben und ihrem Helm aussehen. Wenn er all das ablegte, würde man ihn womöglich in der Dunkelheit für einen Kammerpagen halten. Kammerpagen mussten häufig des Nachts Botengänge erledigen. Das wusste er aus eigener Erfahrung. Immerhin hatte er Kazah schon unzählige Male welche machen lassen.
Der Mond ging gerade unter. Er wusste nicht, wie spät es war, aber er hatte mehr als die halbe Nacht mit Warten verbracht, und wenn er noch länger wartete, bliebe ihm nicht mehr genügend Zeit, um seinen Plan durchzuführen. Ein letztes Mal legte er sich die weiße Seide vors Gesicht und betrachtete die schlafende Zafir durch die winzigen rubinroten Augen seines taiytakischen Drachen. Sie war allein. Gut .
Nein . Er starrte sie an und entkleidete sich dann wieder langsam. Zu gefährlich. Ich muss den morgigen Tag abwarten. All die anderen Könige und Königinnen müssen erst abgereist sein. Selbst als er nackt war, schob er sich die Seide nicht von den Augen. Stattdessen ließ er den kleinen metallenen Drachen durch Zafirs Zimmer flattern und sich neben ihren Kopf setzen. Sanft zwickte er sie ins Gesicht, bis sie sich rührte. Als sie den Drachen sah, lächelte sie.
»Es ist mitten in der Nacht.«
Der Drache nickte. Während Zafir unter ihr Kopfkissen griff und ihren eigenen Seidenschal hervorholte, warf Jehal einen Blick über die Schulter. Zwei rubinrote Augen funkelten ihn in der Dunkelheit an.
»Du bist nackt«, flüsterte sie.
»Ich wünschte, du wärst es ebenfalls.«
»Ich wünschte, ich könnte dich berühren.«
Jehal seufzte. »Bald, meine Geliebte. Sobald Hyram aus dem Weg
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