Der Drachenthron: Roman (German Edition)
Bemühungen waren vergeblich. »Vidar«, flüsterte sie. Tränen rannen ihr das Gesicht herab. Jostan hielt sie immer noch fest an sich gepresst, auch wenn seine Arme nun sanft – und plötzlich willkommen waren. Jaslyn lehnte den Kopf an seine Brust und weinte bitterlich. Hier in der todbringenden, schwelenden Finsternis wollte sie keine Prinzessin mehr sein.
Sie krochen den Fluss entlang, bis sie den riesigen Scheiterhaufen am Höhleneingang erblickten, und warteten dort eine Stunde, vielleicht sogar länger, bevor Jaslyn entschied, dass sie die Ungewissheit nicht länger ertrug. Dieses Mal war sie umsichtiger und passte einen günstigen Augenblick ab um loszurennen, sprintete am Flussufer entlang und sprang schließlich ins kalte Wasser, als die Hitze des Feuers unerträglich wurde. Sie hörte, wie ihr Jostan hinterherschrie, wagte jedoch keinen Blick über die Schulter. Nachdem er sie endlich eingeholt hatte, waren sie bereits außerhalb der Höhle und trieben paddelnd an den Feuern vorbei.
»Kopf runter!«, rief Jostan, und im nächsten Moment waren sie in Freiheit, und die Luft war auf einmal kühl und köstlich frisch. Sie fühlte sich so berauschend klar an, dass Jaslyn so tief wie nur möglich einatmete. Für eine Sekunde hatte sie sogar Vidar vergessen.
Und dann sah sie ihn. Dreißig Meter vom Fluss entfernt, flach auf dem Bauch liegend, mit geschlossenen Augen. Reglos.
»Eure Hoheit! Wartet!« Aber das konnte sie nicht, und diesmal versuchte Jostan auch gar nicht, sie aufzuhalten. Jaslyn hievte sich aus dem eiskalten Fluss, rannte so schnell sie ihre Beine trugen zu dem Drachen und ließ sich an seinem Kopf zu Boden fallen. Vidar war verschwunden. Sie konnte bereits die Hitze spüren, die ihn von innen heraus verbrannte.
Jostan kam auf sie zu, bemerkte dann ihren entsetzten Gesichtsausdruck und blieb wie angewurzelt stehen.
»Ist er …«
Jaslyn schüttelte den Kopf. Sie brachte kein Wort über die Lippen.
»Ich … ich sollte nach den anderen sehen, Hoheit. Seid bitte vorsichtig. Die anderen … Sie könnten …«
Er hätte die Prinzessin zurück in die Höhle bringen müssen, und das wussten beide. Sie hätte dort bleiben müssen, bis all die anderen Drachen gefunden waren. Er hätte sie niemals entkommen lassen dürfen, und ihre Mutter würde ihn für seine Unaufmerksamkeit wahrscheinlich zur Verantwortung ziehen. Aber für diesen einen Moment liebte Jaslyn ihn mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt, und das aus dem einfachen Grund, weil er sie allein ließ.
68
Der Balkon
J ehal blickte durch die Augen seines taiytakischen Drachen und beobachtete, wie sich die Flügeltüren des Turms der Abenddämmerung öffneten und Shezira in Richtung von Hyrams Gemächern stürmte. Er verzog das Gesicht. Wie der Pfeil vom Bogen eines Meisterschützen , sinnierte er. Blitzschnell, tödlich und vollkommen vorhersehbar. Und falls Hyram nicht geweckt werden kann, was wirst du dann tun, meine mächtige Königin? Er legte den einen Seidenschal ab und band sich den anderen vors Gesicht, um mit den Augen des kleinen Drachen zu sehen, den er über Hyrams Bett postiert hatte. Die Adamantinische Wache hatte Hyram aus Zafirs Zimmerflucht in seine eigene getragen und zu Bett gebracht, genau wie die Befehle ihrer neuen Herrin gelautet hatten. Inzwischen sollte er sanft schnarchen. Jeder würde annehmen, dass er betrunken gewesen war.
Das Bett war leer.
Erst nach mehreren Sekunden und einer gründlichen Durchsuchung des Zimmers traute Jehal seinen Augen. Hyram war verschwunden. Trotz all der Giftmischungen musste Hyram erwacht sein und sich aus dem Bett gehievt haben. Der Drache fand ihn wenige Minuten später, draußen auf dem Balkon, wo er über der Brüstung lehnte. Sein Gesicht war aschfahl und ausdruckslos, und er zitterte am ganzen Körper. Jehal musste sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Hyram hätte überall landen können. Wie die Dinge standen, glich es einem Wunder, dass er noch nicht über die Brüstung gefallen und unten am Boden zerschmettert war.
Das bringt mich aber auf eine Idee.
Er riss sich die Seide vom Gesicht und tastete nach seinen Stiefeln. »Kazah! Hilf mir beim Ankleiden.« Wenn Shezira Hyram fand und Hyram tatsächlich einen anständigen Satz zusammenbrachte, wäre es möglich, dass die Wahrheit doch noch ans Licht kam. Er sollte wohl Angst haben. Oder wenigstens verärgert, alarmiert, besorgt sein – etwas in der Richtung. Aber beschwingt? Kein gutes Zeichen
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