Der Drachenthron: Roman (German Edition)
einem anderen Fenster. Das Fenster war dunkel. Königin Shezira war noch nicht in ihre Gemächer zurückgekehrt. Wie jammerschade, denn eigentlich wollte er von ihr dabei beobachtet werden, wie er ihre Tochter nahm. Eine Art Vorspiel für alles, was er sich noch nehmen würde, und jetzt war sie nicht einmal da.
Doch dann übermannte ihn die Jungfrauenreue, und Lystra rieb sich verführerisch an ihn, und es gab kein Zurück mehr.
22
Verbrannte Erde
S ie benötigten den ganzen restlichen Tag und einen Großteil des darauffolgenden, bis sie ihr Ziel erreichten. Ihr beschwerlicher Weg führte sie dabei durch eine Talsohle mit Hunderten kleiner, murmelnder Rinnsale, die sich um ein Meer aus Gesteinsbrocken, Sand- und Kiesbänke schlängelten. Zu beiden Seiten erhoben sich bewaldete Berghänge, die in scharf aufragende Gipfel übergingen. Es regnete ununterbrochen. Hin und wieder verlor einer der Reiter das Gleichgewicht und rutschte aus. Am Ende des ersten Tages gab es niemanden unter ihnen, der nicht humpelte.
Was ihnen ganz recht geschieht, weil sie nicht auf ihre schwere Rüstung verzichten wollen, dachte Sollos.
Am Abend saßen Lockenbart und die anderen Outsider in griesgrämigem Schweigen beieinander und kauerten sich unter den dichtesten Bäumen zusammen, um so viel Schutz wie möglich vor dem Regen zu finden. Wenn sie die Drachenritter ansahen, glitzerten ihre Augen mit einer Mischung aus Gier und Hass. Die Ritter funkelten ebenso finster zurück. Sollos und Kemir wechselten sich mit ihren Nickerchen ab, doch ansonsten bekam niemand viel Schlaf. Sonderbarerweise schien der Alchemist am nervösesten von ihnen allen zu sein.
Sobald die Morgendämmerung anbrach, war Lockenbart auf den Beinen und verkündete, ihre Wege würden sich nun trennen. Äußerst widerwillig reichte ihm Reiter Semian das versprochene Gold. Lockenbart verschwand zusammen mit dreien seiner Freunde sowie dem Beutel voll Münzen flussabwärts und ließ zwei der Outsider zurück, die die Reiter zu ihrem eigentlichen Ziel führen sollten.
»Wenn wir ihnen folgen, könnten wir sie immer noch einholen«, murmelte Kemir.
Es dauerte keine Stunde, bis die anderen beiden Outsider sie im Stich ließen. Der erste verdrückte sich still und heimlich in den Wäldern, als einer der Ritter stolperte und sich die Hand brach. Nachdem der andere bemerkte, dass er nun der Letzte war, rannte er einfach los und vertraute blind seinen geschickten Füßen auf dem felsigen Gestein – in dem Wissen, dass die Ritter ihn sowieso niemals einholen konnten. Reiter Semian nannte den Mann einen Verräter und gab den Befehl, ihn zu erschießen. Doch als Sollos seinen Bogen gespannt hatte, war der Outsider längst über alle Berge. Dennoch schickte er dem Mann mehrere Pfeile nach, um Semian zufriedenzustellen, und gab dann vor zuzuhören, während der Ritter ihm Vorhaltungen machte, welch ein miserabler Schütze er sei.
Allmählich begriff Sollos, dass die Ritter nicht wussten, was sie nun tun sollten. Er beobachtete, wie sie aufgeregt hin und her überlegten, und fragte sich, welchen Nutzen er daraus ziehen konnte, sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Sechs Reiter und ein Alchemist, allein in den Bergen …
Er blickte auf. Doch da, hoch über ihnen, sah er einen Punkt am Himmel. Die Ritter wurden auf Schritt und Tritt bewacht.
»Du! Söldner!«
Sollos hob den Kopf. Er hatte angenommen, einer der Ritter habe ihn gerufen, doch es war der Alchemist, der mit dem Finger auf ihn zeigte.
»Meister Huros. Amüsiert Ihr Euch?«
»Ich, äh … natürlich nicht. Ich brauche deine Hilfe. Ganz offensichtlich wäre nun die adäquate Vorgehens – weise, in die Richtung weiterzugehen, in die wir geführt wurden. Bitte erklär das Reiter Semian.«
Sollos legte den Kopf schief. »Warum erklärt Ihr es ihm nicht selbst, Meister Huros?«
»Weil mir Lady Nastria unmissverständlich klargemacht hat, dass ihr zwei diese Berge in- und auswendig kennt.« Der Alchemist räusperte sich. »Äh. Er wird auf euch hören, und wir müssen dringend weiter.«
»Tatsächlich? Ich dachte, wir kehren um und fackeln die ungezogenen Outsider ab, weil sie sich so ungehobelt aufgeführt haben.«
»Nein, Söldner Sollos, wir müssen weiter. Wenn … äh, wenn die Männer die Wahrheit gesagt haben, ist der Drache nicht weit weg. Umzukehren wäre reine Zeitverschwendung. Ich wiederhole, wir müssen weiter, bevor …«
»Bevor was, Meister Alchemist?«
»Hm. Geht dich nichts an. Es ist
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