Der Dreissigjaehrige Krieg
rätselnd durch den Nachlass seines Vorgängers Tycho Brahe: Waren die Planetenbahnen möglicherweise »eiförmig« oder doch eher »pausbäckig«?
Die Wahrheit interessierte nur eine Handvoll Gelehrter, die Keplers wissenschaftlichen Beitrag überhaupt einzuordnen wussten. Der Rest ging dann unter im Getöse des Krieges – Apokalypse statt Ellipse. In seinen letzten Lebensjahren konnte Kepler froh sein, dass er auch in der einträglicheren Schwesterdisziplin der Astronomie bewandert war. Statt weiter den Gesetzen des Universums nachzuspüren, verdiente der zunehmend schwächelnde Genius das dringend nötige Geld nun hauptsächlich damit, Horoskope zu schreiben – als geschätzter Astrologe des sternengläubigen Feldherrn Albrecht von Wallenstein.
»GEJAGT WIE DAS WILD
IN DEN WÄLDERN«
Die Mächtigen zettelten den Krieg an –
Bauern, Soldaten und Handwerker mussten ihn ertragen.
Ihre Tagebücher liefern Augenzeugenberichte
aus einem Alltag inmitten von Schrecken und Gewalt.
Von
Eva-Maria Schnurr
A ls der Krieg zu Ende geht, kauft der Söldner zwölf Bogen Papier. Er faltet und heftet sie zu einem Büchlein, taucht den Federkiel in Eisengallustinte und beginnt, seine Notizen aus den zurückliegenden 25 Jahren sauber abzuschreiben: »In diesem Jahr 1627 im April den 3. habe ich mich unter das Pappenheimsche Regiment zu Ulm lassen anwerben als einen Gefreiten, denn ich bin ganz abgerissen gewesen.« So geht es Zeile um Zeile, Seite um Seite mit schwungvollen, nach rechts geneigten Buchstaben: wie er als junger Mann in Italien Soldat wird, wie er im Regiment des katholischen Feldherrn Gottfried Graf von Pappenheim durch Deutschland und Frankreich zieht, wie er hungert und plündert und kämpft.
»Sind wir zurück nach Magdeburg, nach Eisleben, nach Merseburg, nach Leipzig. Hier das Lager aufgeschlagen, alsbald geschanzt, Laufgräben gemacht, die Kanonen aufgefahren und die Stadt beschossen« , vermerkt der Autor über die Belagerung Leipzigs 1631. »Einmal bin ich durch den Bauch vorne durchgeschossen worden, zum andern durch beide Achseln, so dass die Kugel ist in dem Hemd gelegen. So bin ich in meine Hütte gebracht worden, halbtot« , heißt es über die Verletzungen, die er sich bei der Erstürmung Magdeburgs zugezogen hat. Am Ende hat er 192 Seiten vollgeschrieben, die Geschichte eines Mannes, dessen Beruf das Töten ist. Mit seinem Regiment legte er fast 23.000 Kilometer zurück. Fast die ganze Zeit ziehen seine Frau und die Kinder im Tross hinter dem Heer mit. Es ist eine persönliche Geschichte des großen Krieges, den der Söldner gegen alle Wahrscheinlichkeit überlebt, während um ihn herum die Welt in Elend und Gewalt versinkt und jedes Gefecht das letzte sein kann: »Diesmal hat mich der Allmächtige sonderlich behütet, so dass ich dem lieben Gott höchlich dafür Zeit meines Lebens zu danken habe, denn mir ist kein Finger verletzt worden, da ansonsten kein einziger von allen, die wieder zum Regiment gekommen sind, ohne Schaden gewesen ist.«
Der anonyme Söldner – vermutlich hieß er Peter Hagendorf und stammte aus dem Rheinland – ist einer von vielen, die ihre Erlebnisse und Erinnerungen aus dem Dreißigjährigen Krieg aufgeschrieben haben. Mehr als 240 solcher »Selbstzeugnisse«, wie Historiker die Tagebücher, Schreibkalender, Briefe und privaten Chroniken nennen, haben allein im deutschsprachigen Raum die Zeit in Archiven, Bibliotheken oder auf Dachböden überstanden, und das ist wohl nur ein Bruchteil der privaten Aufzeichnungen aus den Kriegsjahren. So außerordentlich erschien Bauern wie Handwerkern, Klerikern wie Amtsleuten, Nonnen wie Fürstinnen und selbst Soldaten das, was sie da erlebten, dass sie zur Feder griffen und niederschrieben, wie der Krieg durch ihr Leben pflügte – um ihren Nachkommen davon zu erzählen, Schäden zu dokumentieren oder sich selbst das eigene Leiden irgendwie greifbar zu machen. Die Berichte zeugen von der Lebens- und Gefühlswelt der Menschen; wie in einer Zeitkapsel transportieren sie Ängste, Schrecken und Hoffnungen, aber auch einfach den Alltag im Krieg.
»Am 22. August ist die ganze Landschaft nach Ulm geflohen mit Weib und Kind, Ross und Vieh, obwohl die Früchte zum Großteil noch auf dem Feld standen. Aber die Not hat kein Gesetz, sie liegt uns auf dem Hals. Das ist die 23. Flucht« , notiert der Dorfschuster Hans Heberle 1646. Er lebt mit seiner Frau Anna in einem Dorf nördlich von Ulm – einer Gegend, durch die seit Mitte der 1620er
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