Der Dreissigjaehrige Krieg
Feldfrüchte abgeschnitten und hereingetragen, wie wir es eben konnten, denn nur wenige Pferde sind übrig geblieben« , schreibt er.
Weil das Korn durch lange Winter und kalte, verregnete Sommer in vielen Jahren ohnehin schlecht wächst, weil Mäuseplagen die Saat vernichten und die Preise für Nahrungsmittel stark ansteigen, quält Hunger bald Bevölkerung wie Soldaten. »Die Soldaten aßen Hunde und Katzen und gestohlenes Fleisch, und die Bauern hatten oft mehrere Tage keinen Brocken Brot« , erinnert sich Maurus Friesenegger, Abt des Benediktinerklosters Andechs in der Nähe des Ammersees, und erzählt, dass Dörfler in der Umgebung vor Elend selbst ihre eigenen Finger abgenagt hätten. Der Thüringer Happe behauptet gar, dass Menschen Tote auf den Friedhöfen ausgegraben und gegessen hätten. Seuchen wie Pest, Ruhr und Blattern finden unter den Geschwächten leicht ihre Opfer. Nur drei der zehn Kinder, die Hans Heberle und seine Frau während des Krieges bekommen, überleben. Und auch dem Söldner Peter Hagendorf sterben acht Kinder und seine erste Frau; nur zwei Kinder erleben das Kriegsende.
Scheinbar emotionslos vermerkt Hagendorf die Sterbedaten in seinem Bericht; ebenso kühl beschreibt er seine Feldzüge von Norditalien bis an die Ostsee, von Bayern bis ins heutige Belgien. Der Krieg ist sein Geschäft, er lebt vom Plündern, und scheinbar unbeteiligt schreibt er selbst über brutalste Taten: »Den 4. Juli sind wir an die französische Grenze gekommen und an einem Schloss vorübergezogen. Darin sind sieben Bauern gewesen, die haben sich gegen die ganze Armee gewehrt. Also haben wir das Schloss angezündet und samt den Bauern verbrannt« , notiert er 1636 auf dem Weg nach Frankreich.
Die Kriegshandwerker sind nach den Jahren des Tötens häufig abgestumpft; Gewalt wird ihnen zur Alltäglichkeit. Die Bevölkerung zeigt sich dagegen traumatisiert durch das Erlebte: »Ich bin so hart geängstigt worden, dass ich vermeinte, es werde mir Leib und Leben, ja sogar die Vernunft kosten, denn niemand wusste, wie es ausgeht« , schildert die Priorin Klara Steiger ihre Gefühle während eines feindlichen Angriffs. Kaum fassbar ist den Menschen, was um sie herum passiert, beobachtet Abt Friesenegger in Erling, dem Dorf unterhalb seines Klosters: »Alles zum Grausen und für Menschen unbegreiflich. In den Häusern wie auf den Gassen lagen nichts als abscheuliche Lumpen, zerschlagener Hausrat, Köpfe, Füße und Gedärme von verzehrten Pferden, Menschen-Unrat und mehrere Toten-Körper.«
Die ständige Furcht vor neuen Übergriffen der marodierenden Truppen zermürbt: »Wir waren so geängstigt und verzagt, dass uns auch ein rauschendes Blatt verjagt. Und wie ich auch selbst etliche Mal, wenn der Wind stark geweht hat und die Schieferplatten an der Kirche geklappert haben, erschrocken bin. Und [bin] auch des Nachts etliche Male aus dem Bett gesprungen und [habe] gemeint, es rennten Reiter im Dorf« , erinnert sich Bauer Preis, der sich zwei Jahre nach Kriegsende daransetzt, seine Erlebnisse niederzuschreiben.
Der Krieg verändert die Menschen, denn er zerstört nicht nur alle Sicherheiten, jedes Vertrauen in die politische, soziale und gesellschaftliche Ordnung, sondern auch die meisten Gewissheiten. Sogar die, in diesem Krieg auf der richtigen Seite zu stehen. Anfangs fiebern Protestanten wie der Hofrat Happe oder der Schuster Heberle noch mit den Unions-Truppen und hoffen auf die Schweden; Katholiken wie der Mönch Friesenegger oder die Nonne Staiger dagegen setzen auf die kaiserlichen Truppen. Doch je länger die Kämpfe dauern, umso mehr verschwinden die Unterschiede zwischen den Kriegsparteien. »Morden, Rauben, Stehlen, Nehmen, Schänden, Huren etc., das sind unserer Soldaten ritterlichste Taten und Tugenden« , empört sich Happe 1634 über die Brutalität der eigenen protestantischen Truppen: »Es sind unsere Kontributions-Schlucker nicht ein Haar besser als der Feind.« Die Priorin Klara Staiger hat 1642, als kaiserlich-bayerische und schwedische Truppen umherziehen, den gleichen Gedanken: »Man hat allerorten Tag und Nacht gedroschen, bis man das liebe Getreide in Verwahrung gebracht, denn leider nichts anderes als Freund und Feind zu fürchten gewesen« , schreibt sie in ihr Tagebuch.
30 Jahre ist sie alt, als der Krieg 1618 ausbricht; als er zu Ende geht, ist Klara Staiger eine alte Frau, hat mehr als die Hälfte ihres Lebens zwischen Fluchten, Angst und Elend verbracht, tapfer versucht, sich und ihre
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